Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)
durch einen wundersamen Zufall Robert Bouvier wiedergefunden, den muss ich enttäuschen. Ich gebe zu, diese Hoffnung keimte auch in mir, als der Name Robert zum ersten Mal fiel. Doch leider stieß Isabelle nie mit ihm vor einem Vorlesungssaal zusammen, sie ließ niemals ihre Unterlagen fallen, sodass er sie aufheben und ihr tief in die Augen blicken konnte. Sie lernten einander nicht kennen.
Mein Robert musste inzwischen siebenunddreißig sein, vielleicht war er Professor für Phantasie geworden oder etwas Ähnliches. Sicher hätte er mit seinem stillen und ein wenig unbeholfenen Wesen Isabelles Herz wie wild zum Klopfen gebracht. Und sicher hätte er auch Blumen für sie geklaut. Sie erfuhr nie, dass es einen Robert gab, der bestimmt all das gekonnt hätte, was sie von dem »Richtigen« erwartete. Doch das ist ohnehin nur meine bescheidene Meinung, und wen interessiert die schon?
Ich fühlte mich plötzlich müde. Zum ersten Mal seit langer Zeit meldete sich wieder einmal die Unzufriedenheit über meine sämtlichen Handicaps. Wie gerne hätte ich Isabelle von dem kleinen Gemüseladen an der Place d’Italie erzählt und sie gefragt, ob er noch existierte, ob sie vielleicht herausfinden könnte, was aus Robert geworden war. Vielleicht war er ja wirklich ganz in der Nähe.
Isabelle aber hielt sich lieber an den Literaturprofessor, der ihr nach einer Party unbedingt noch eine Originalausgabe von was weiß ich für einem Buch zeigen wollte (»Ist das nicht unendlich platt, Mon ami?«). Doch auch er war schnell aus dem Rennen, als Isabelle erfuhr, dass er noch ein kleines bisschen verheiratet war (»So etwas Hinterhältiges, und ich bin auch noch drauf reingefallen!«).
Wie gut, dass ich mit nach Paris gezogen war – die Krise dauerte diesmal länger als sonst, sie litt fast zwei Wochen.
»Ich glaube, ich habe von der Liebe erst mal die Nase voll, Mon ami«, sagte sie, als sie sich wieder gefangen hatte. »Dieser dumme Professor hätte es um ein Haar geschafft, mir mein Herz zu brechen. Das soll mir nicht noch einmal passieren. Jetzt werde ich mich erst einmal schlau studieren, und wenn das Schicksal es will, wird es mir schon den Richtigen vorbeischicken.«
Aber das Schicksal hatte zunächst etwas anderes für Isabelle vorgesehen. Nichts Geringeres nämlich als eine regelrechte Katastrophe. Sie ereignete sich am 4. November 1966, und ich bekam nichts davon mit – kein Wunder, denn die aktuellen Ereignisse diskutierte Isabelle lieber mit ihren Kommilitonen als mit mir.
»Mon ami, wir müssen nach Florenz«, war das Einzige, was sie mir am 8. November mitteilte, ehe sie mich in die Reisetasche packte. Des Weiteren nahm sie eine Regenjacke mit, Gummistiefel, einen Schal, zwei Wollpullover, zwei Strumpfhosen, drei Jeanshosen und allerhand warme Kleidung. Die Röcke und der Schmuck blieben im Schrank, ebenso die Baumwolltücher und die schicken Blusen. Sie schien sich auf eine Polarexpedition vorzubreiten. Aber lag Florenz nicht in Italien?
Victor hat immer sehr von dieser Stadt geschwärmt, von den Bauwerken, den Kunstsammlungen und der riesigen Bibliothek. Die Literaten von Bloomsbury hatten damals wochenlang über einen Roman diskutiert, den ihr nach Indien ausgewanderter Kollege E. M. Forster über Florenz geschrieben hatte. Viele fanden das Buch zu seicht. Es war eine gesellschaftskritische Geschichte über ein Mädchen, das mit seiner schrecklichen Cousine nach Florenz fährt, in einer Pension ein Zimmer ohne Aussicht bekommt und sich unstandesgemäß verliebt. Und ich erinnere mich, dass Victor verteidigend sagte:
»Ja, aber Florenz kann einen schon ein wenig gefühlsselig werden lassen.«
Ich hatte mir Italien im Allgemeinen immer warm vorgestellt und, Victor sei Dank, Florenz im Besonderen als eine wunderschöne Stadt.
Wie man sich täuschen kann.
Florenz stank. Es stank zum Himmel und versank im Schlamm. Wir waren mitten in eine Flutkatastrophe geraten, die unvorstellbaren Schaden angerichtet hatte. Und genau deshalb waren wir gekommen. Nicht, um die Schönheiten dieser Stadt zu bewundern, sondern um sie zu retten.
So war Isabelle. Sie konnte nicht still sitzen und wollte unbedingt helfen. Und dabei vielleicht noch ein klitzekleines Abenteuer erleben. Sie redete nicht lange drum herum, sondern packte ihre Koffer. Ich glaube, sie hatte keine Ahnung, auf was sie sich einließ, als sie mit ihren fünf Studienkollegen (und mir) den Zug nach Florenz bestieg.
Wir fuhren mit dem Zug! Herrlich. Ich
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