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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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denken. Ich sehnte mich nicht mehr in alte Hände zurück. Ich wollte einfach nur bei Isabelle sein, ihr Mon ami. Wer war schon Henry N. Brown? Ich konnte mich kaum erinnern. Ich lebte im Hier und Jetzt. Das reichte mir.
    Isabelle bekam einen kleinen Schminktisch, vor dem sie viele Stunden verbrachte. Doch sie schminkte sich nie. Sie bürstete in schnellen, entschlossenen Strichen ihr braunes Haar, das inzwischen in eine schicke Kurzhaarfrisur mit kleinen Herrenwinkern gebracht war.
    »Schneid mir die Haare, Maman«, hatte sie eines Tages mutig gesagt und ihrer Mutter eine zerknitterte Seite aus einer Illustrierten hingehalten. »So will ich aussehen.«
    »Um Himmels willen. Das ist doch kein Haarschnitt für Mädchen. Wer ist denn diese abgemagerte Frau?«
    »Diese Frau heißt Jean Seberg, und ich will genau so aussehen wie sie in Außer Atem«, erklärte Isabelle und betonte dabei jede Silbe. »Bitte«, fügte sie dann noch hinzu. Hélène ließ mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schere klappern und musste hinterher zugeben, dass Isabelle wunderschön aussah.
    Manchmal färbte Isabelle sich die Lippen ein wenig rot. Doch meistens saß sie einfach vor ihrem Schminktisch und betrachtete ihr Spiegelbild. Sie streckte die Zunge raus, schnitt sich Grimassen und versuchte in ihr Inneres zu schauen. Oft nahm sie einen Stift zur Hand und zeichnete sich selbst. Zuerst unbeholfen mit wackeligen Strichen, doch bald immer besser. Irgendwann hatten die Gesichter auf dem Papier wirklich Ähnlichkeit, und sie hatten noch mehr, sie schauten den Betrachter an. Die Papier-Isabelle schien von einem weit entfernten Ort herüberzuschauen, weise und doch ein wenig fragend. War nicht eines ihrer Ziele gewesen, wie van Gogh zu werden? Nun, sie hatte es immerhin zu Isabelle Marionnaud gebracht, und die konnte sehr gut zeichnen.
    Die Kinderzimmermöbel um uns herum verschwanden, Annabelle landete in einer Kiste, die auf dem Dachboden verstaut wurde, ein Transistor und ein Schallplattenspieler hielten Einzug in Isabelles kleines Reich. Stundenlang hörte sie mit ihren Freundinnen Bob Dylan und Jacques Brel.
    Ich durfte bleiben. Was heißt, ich durfte bleiben – ich musste bleiben. Isabelle brauchte mich, auch wenn ich langsam Verschleißspuren aufwies und in ihrem Spiegel deutlich erkennen konnte, dass ich meine Jugend ebenfalls hinter mir gelassen hatte. Es war das erste Mal, dass ich mir Gedanken um mein Aussehen machte. Glücklicherweise waren die Jahre, in welchen anderes Spielzeug mir den Rang hätte ablaufen können, endgültig vorbei. Ich hatte als Einziger die Kindheit überdauert und war mehr als ein Spielzeug. Wir waren gemeinsam erwachsen geworden.
    »Maman, ich will studieren«, sagte Isabelle eines Tages zu ihrer Mutter.
    »Ich habe es befürchtet«, antwortete Hélène.
    Michel war schon vor langer Zeit in den Weinhandel seines Vaters eingestiegen und hatte sich ein richtiges Motorrad gekauft. Er schien keine Augen für Frauen zu haben, wohl aber für Patric, den Schreinerlehrling, der zwar Isabelles Herz nicht zum Klopfen gebracht hatte, seines hingegen schon. Die anderen bemerkten davon nichts, doch einem Bär entgeht die Regung eines Herzens nicht.
    Nachdem in Amerika Marilyn Monroe »Happy Birthday, Mister President« ins Mikrofon gehaucht hatte, versuchte Marilou eine zweite Marilyn aus sich zu machen. Als die jedoch auf so mysteriöse und jener Mister President auf so unfassbare Weise starb, begrub sie all ihre hochfliegenden Träume und heiratete einen Mann, der keinerlei Ähnlichkeit mit ihrem einst angebeteten James hatte. Sie selbst hatte inzwischen eher Ähnlichkeit mit Doris Day als mit Marilyn Monroe.
    Hélène hatte sich das Leben ihrer Kinder anders vorgestellt. Und jetzt wollte ihre Jüngste studieren, das Heim verlassen und in die Großstadt ziehen. Noch kein Marionnaud hatte es auf die Universität geschafft. Doch wenn nicht Isabelle, wer dann? Sie war zwanzig und hatte vor, die Welt zu erobern. Und so kehrte ich in Begleitung einer nervösen, aufgekratzten und vor Neugier platzenden Isabelle nach fünfundzwanzig Jahren Abwesenheit nach Paris zurück.
    Sie immatrikulierte sich für Kunstgeschichte und wurde eine emsige Studentin, und es dauerte nicht lange, da verliebte sie sich aufs Neue. Diesmal in einen älteren Mann, seines Zeichens Professor für Literatur. Drei Nächte hintereinander kam sie nicht nach Hause. Er hieß Robert.
    Wer jetzt klopfenden Herzens da sitzt und glaubt, ich hätte an der Sorbonne

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