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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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war jedoch wieder einmal anderer Meinung:
    »Komm schon, Alice, sei keine Spielverderberin. Milton gibt eine herrliche Gesellschaft, dann kommst du auch unter Leute. Es gibt Plumpudding. Und sicher findest du in diesem Jahr den Penny.«
    »Ich weiß nicht recht, Liz. Ich bin doch nur ein Trauerkloß. So jemanden will Milton sicher nicht auf seiner Party haben.«
    »Doch, Milton hat es ausdrücklich gewünscht. ›Lizzy‹, hat er gesagt, ›du musst deine reizende Freundin Alice mitbringen. Sie ist eine Zierde für jede Gesellschaft.‹ Er mag dich sehr, weißt du«, erklärte sie mit einem viel sagenden Blick.
    Alice lächelte.
    »Ich habe einen Brief von Patricia bekommen. Sie lädt mich über die Feiertage nach London ein. Es sieht bedauerlicherweise so aus, als müsste ich Miltons Einladung ausschlagen«, sagte Alice.
    »Aber das ist doch entzückend, Liebes. Wie reizend von deiner Schwester. Und ein paar Tage London haben noch niemandem geschadet.« Elizabeth lachte fröhlich – man kann ihr viel vorwerfen, aber missgünstig war sie nicht.
    »Ach, es ist mir so unangenehm. Sie wollen mir sogar die Fahrt bezahlen …«
    »Du wirst einige herrliche Tage verleben. Und sicher lernst du in der Bahn wieder interessante Leute kennen. Vielleicht einen echten Henry diesmal«, sagte sie mit einem Seitenblick auf mich, der nicht misszuverstehen war.
    Elisabeth und ich würden nie Freunde werden, das stand fest. Doch sie kümmerte sich um Alice, daher konnte ich ihre plappernde Anwesenheit großmütig tolerieren.
    Alice überhörte den Kommentar und sagte:
    »Ja, ich denke, ich werde die Einladung annehmen. Es ist doch angenehmer, Weihnachten bei der Familie zu sein.«
    Warum beschäftigte dieses sogenannte Weihnachten die Menschen so sehr, dass allerorten gefeiert wurde? Ich hoffte, Alice würde mir bald mehr darüber erzählen. Doch ich erfuhr nicht viel mehr als das, was ich bereits wusste.
    »Dieses dumme Fest«, sagte sie später zu mir. »Wie kann ich denn allein ein Fest der Liebe feiern?«
    Ich fand, dass es sich gar nicht so schlecht anhörte, ein Fest der Liebe zu feiern – nach allem, was ich inzwischen von der Liebe wusste, könnte es doch eine schöne Angelegenheit sein, wenn Leute, die einander zugetan waren, zusammenkamen und feierten, dass sie sich mochten.
    Hegt man als Jungbär nicht alberne Vorstellungen? Wie unterschiedlich dieses Fest begangen werden kann, ahnte ich damals wahrlich nicht. Ich erinnere mich an spätere Weihnachtsfeste, die mehr mit Krieg als mit Liebe zu tun hatten – ob es nun ein Krieg mit fliegenden Bomben oder fliegenden Tellern war …
    Der Tag der Abreise nahte. Und was ich mir nur in meinen geheimsten Träumen gewünscht hatte, wurde wahr: Alice wollte mich mitnehmen. Zum ersten Mal würde ich das Haus verlassen und die Welt, die ich tagein, tagaus vom Fenster betrachtet hatte, endlich aus der Nähe sehen.
    Alice hatte einen kleinen Koffer gepackt, eine Hutschachtel und einen Lederbeutel, in dem sie mich, einige Äpfel, ein Taschentuch, eine Geldbörse, einen Lippenstift, einen Taschenspiegel und ihren Hausschlüssel verstaute. Dann machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof.
    Ich wusste, wo der Bahnhof war. Vom Fenster aus hatte ich die Gleise sehen können, die ostwärts führten. Es war nicht weit. Nur ein paar Meter nach rechts die Manvers Street hinauf, und schon war man dort.
    Wie oft hatte ich die riesigen schwarzen, dampfenden Züge ankommen und abfahren sehen. Ich konnte auch hören, wie vor der Abfahrt die Pfeife erklang, wie das Geräusch des Dampfkessels immer lauter wurde und die Lokomotive langsam Fahrt aufnahm, ehe das eiserne Ungetüm aus meinem Sichtfeld verschwand.
    Viele Nachmittage hatte ich damit zugebracht, den Zügen hinterherzuschauen. Und immer hatte ich mich gefragt, wohin die Reise ging. Jetzt würde ich es endlich erfahren. Ich würde es zudem selbst erleben. Aufregung beschreibt den Zustand, in dem ich mich in den Stunden vor Reiseantritt befand, nur mangelhaft.
    Als wir aus dem Haus traten, blieb Alice kurz stehen. Fast schien es mir, als sammle sie noch einmal Kraft für die bevorstehende Fahrt. Ich nutzte die Gelegenheit, mich umzuschauen. So also sah es draußen aus. Es war ein merkwürdiges Gefühl, nicht mehr hinter der sicheren Scheibe zu sitzen und den vertrauten Ausblick zu haben. Plötzlich sah ich, dass es links und rechts von meinem Ausschnitt der Welt noch mehr Häuser gab. Und Straßen. Und Bäume. Und Menschen.
    Was hatte ich erwartet?

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