Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
Vom Netzwerk:
entgegnete sie.
    Hoffnung durchströmte mich. Hatten sie es geschafft? Hatten sie einen Anfang gefunden, einen Weg entdeckt, der sie aufeinander zu und nicht voneinander wegführte? Laura, dachte ich, vielleicht hat dein Aufstand ja doch etwas bewirkt.
    Sie sahen sich an.
    »Ja, das stimmt«, sagte er und lächelte. »Es hat sich gut angefühlt, fast wie früher.«
    »Bernard«, sagte sie, und zum ersten Mal klang der Name aus ihrem Mund nicht wie ein Vorwurf. »Mach es nicht kaputt.«
    »Nein. Es bleibt dabei.« Er senkte den Kopf.
    »Glaub mir. Es ist für uns alle am besten so.«
    »Ich wünschte, du hättest recht.«
    Was habt ihr vor? Wie ist es für alle am besten?
    Sie hob die Arme und zog ihn an sich.
    Während dieser Umarmung beschwor ich die Kraft der Liebe wie noch nie zuvor. Und doch wusste ich tief im Inneren, dass diese Umarmung ein Abschied war.
    Plötzlich änderte sich die Stimmung in der Familie. Es war, als habe sich ein unsichtbarer Knoten gelöst. Als Bernard ein paar Tage später ins Manöver zog, hätte man die Situation beinahe als »normal« bezeichnen können. Claire kam abends ein wenig früher aus der Klinik und kochte seit Langem wieder einmal selbst. Laura folgte dem Stimmungswandel ihrer Mutter dankbar und übte freiwillig für die Klassenarbeit in Mathematik, um den Tadel vom Becksteiner und die Scharte mit dem Dreier vom letzten Mal wieder auszuwetzen. Natürlich war die Entspannung nicht unbemerkt an ihr vorübergegangen.
    Moment mal. Irgendetwas stimmte da doch nicht!
    Die gute Stimmung war doch nichts anderes als ein Ausdruck für die Erleichterung, die zumindest Claire deutlich verspürte, die Erleichterung darüber, endlich nicht mehr wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen, sondern handeln zu können.
    Und Laura? Sie war ein Kind, ein aufsässiges zwar, aber doch ein Kind. Sie wollte nichts lieber tun, als zu glauben, dass alles wieder gut war.
    Es war eine trügerische Heiterkeit. Claire ließ die Bombe am zweiten Abend hochgehen.
    »Laura, ich muss dir etwas sagen.«
    »Können wir nicht erst Dallas zu Ende gucken? Ich muss wissen, was mit Bobby passiert.«
    »Nein. Ich möchte jetzt mit dir sprechen.«
    Laura zwang sich, den Blick vom Bildschirm abzuwenden, und sah ihre Mutter an.
    Mir schwante Schreckliches. Ich hielt die Luft an.
    »Papa und ich …«, begann Claire und hielt Lauras bohrendem Blick stand. Diese drei Worte ließen auch bei ihr alle Alarmglocken schrillen. »Also ich, ich habe mich auf eine Stelle beworben …«
    Schweigen.
    »Und ich habe sie bekommen.«
    Sie atmete aus.
    »Müssen wir umziehen?«, fragte Laura.
    »Nein. Das heißt, ich werde allein umziehen.«
    »Was? Wieso denn? Wohin denn?«
    »Ich habe für ein Jahr eine Stelle in Äthiopien angenommen. In Afrika.«
    »Was hast du?«
    »Ich werde in drei Wochen nach Äthiopien reisen. Du hast doch gesehen, wie dringend die Kinder dort unten Hilfe benötigen. Oder?«
    Ich war fassungslos. Damit hatte ich nicht gerechnet. Mit allem anderen, aber nicht damit. Ich sah genau, dass Laura die Tragweite dessen, was Claire da sagte, gar nicht zu Bewusstsein kam. Sie hatten es nicht geschafft. Die Erkenntnis fiel mir wie ein Hammer auf den Kopf. Claire wollte kneifen. Sie wollte eine Lösung noch einmal aufschieben. Sie waren schwach geblieben, beide. Bernard und Claire hatten weder die Kraft gefunden, ihre Liebe gemeinsam auszugraben, noch den Mut, sie endgültig aufzugeben. Nun zwangen sie die Zeit, zu erledigen, was ihnen stetig misslang, und Laura musste ihre Feigheit ausbaden. Für wen, fragte ich mich, wurde hier eigentlich die Hoffnung am Leben gehalten?
    Laura sah Claire wütend an.
    »Haben die keine eigenen Mütter?«, fuhr sie auf.
    Claire schüttelte müde den Kopf.
    »Ich muss dorthin. Sie brauchen mich. Und für Papa und mich ist es auch das Beste.«
    »Und was ist mit mir?«, flüsterte Laura leise, und die Tränen liefen ihr lautlos über die Wangen.
    »Du bist doch schon ein großes Mädchen. Ich schreibe dir ganz oft«, versprach Claire. »Jeden Tag, wenn du willst.«
    »Ist es wegen mir?«, fragte Laura. »Gehst du wegen mir, weil ich … weil ich so bin?«
    Die Geräusche des Fernsehers füllten die Stille auf schmerzhafte Weise. Das Lachen der Menschen klang falsch und hohl.
    »Wie kommst du denn auf die Idee?«, erwiderte Claire und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
    »Komm her zu mir«, sagte sie dann und nahm ihre Tochter in den Arm. »Komm her.«
    Und so laut ich

Weitere Kostenlose Bücher