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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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richtig gemacht«, sagte er und legte einen Arm um Maurus’ Schultern. »Nina ist wirklich in den besten Händen, doch letztendlich entscheidet ihr Körper darüber, ob er genug Kraft hat, sich gegen die Zellen zu wehren.«
    »Sie ist zäh«, sagte Ilona. »Sie schafft das.«
    Maurus und Ilona saßen Tag und Nacht bei ihr am Bett. Ich lag mit einem Ohr auf ihrer Brust und lauschte ängstlich auf jeden Herzschlag.
    Ninas Geburtstag kam. Zum ersten Mal seit Tagen brach die Sonne durch die Wolkendecke und schien auf Ninas Bett. Die Bäume vor dem Fenster strahlten in sattem jungem Grün.
    Bernard hatte Nina einen blauen Pullover mitgebracht. »Mit den besten Grüßen von Laura«, hatte er gesagt, und Nina hatte den Pulli froh an sich gedrückt.
    Ich erkannte den Geruch, auch wenn er ganz schwach und von Waschmittelduft übertönt war, roch ich Laura. Für einen Moment war ich zurück in Olten, fort aus dem Krankenhaus, befreit von der Sorge, die hier überall zu spüren war. Gerüche vergisst man nie.
    Maurus und Ilona hatten ein paar Luftballons aufgeblasen und an Ninas Bett gebunden. Sie hatten Lieder gesungen und versucht, Memory zu spielen, doch Nina sank müde zurück in die Kissen.
    »Mir ist schlecht«, sagte sie leise, und Maurus wusch ihr mit einem feuchten Waschlappen über die Stirn und murmelte beruhigende Worte, bis sie schlief. Dann saßen sie am Fenster und schauten hinaus, bis die Dämmerung hereinbrach. Zu sagen gab es wenig.
    Später am Nachmittag, als es schon längst wieder dunkel geworden war und die Straßenlaternen von draußen gelb hereinleuchteten, wachte Nina auf.
    »Papa«, sagte sie in die Dunkelheit.
    Maurus hob den Kopf.
    »Ich bin hier, Prinzessin. Gleich hier neben dir«, sagte er und legte ihr die Hand auf den Arm.
    »Ich wäre heute so gern in den Zirkus gegangen.«
    »Ich weiß«, sagte Maurus und konnte nicht verstecken, dass seine Stimme zitterte. »Ich weiß, Csillagom.«
    »Es wäre so schön gewesen …«
    »Ja«, flüsterte Maurus kaum hörbar. »Ja, das wäre es.«
    Ilona setzte sich auf die andere Seite des Bettes und griff nach Ninas Hand. Sie begann leise zu sprechen.
    »Wir gehen jetzt in den Zirkus«, flüsterte sie. »Alle zusammen.«
    Sie sah Maurus über das Bett hinweg an.
    »Wir feiern deinen Geburtstag und machen einen richtig schönen Ausflug in den Zirkus, in den ganz großen im Stadtwäldchen, oben im Botanischen Garten, hörst du. Stell dir vor, wir nehmen ein Taxi dorthin, denn dein Papa ist wie immer spät dran. Wir haben uns fein gemacht. Ich trage das rote, lange Kleid, dein Papa hat seinen Anzug an und du trägst deine neuen Jeans und den blauen Pullover, den Laura dir geschenkt hat …«
    Nina lächelte schwach. Maurus hielt ihre andere Hand fest in der seinen und senkte den Kopf. Ilona fuhr fort.
    »Wir lassen uns bis vor die Tür fahren. Der Chauffeur steigt aus und macht dir die Tür auf, so, wie für ein vornehme Dame. Wir nehmen dich an die Hand, Papa links und ich rechts, und dann gehen wir hinein. Über dem Eingang hängen riesige bunte, leuchtende Buchstaben. Fóvárosi Nagycirkusz steht da. Hörst du, wie drinnen schon die Kapelle spielt? Die Trommler schlagen schon einen Trommelwirbel. Bestimmt geht es bald los. Wir haben einen tollen Platz bekommen, den besten, eine Ehrenloge. Wir sitzen ganz nah an der Manege und können von hier aus alles genau sehen. Das Licht geht aus, und jetzt strahlt nur noch ein einziger Scheinwerfer auf den roten Samtvorhang.«
    Sie senkte die Stimme noch ein wenig bis zu einem Wispern.
    »Es ist mucksmäuschenstill, alle Zuschauer halten den Atem an. Der Trommelwirbel wird immer lauter und dann: ein Tusch. Ist das nicht aufregend? Der Vorhang geht auf, und der dicke Zirkusdirektor kommt herein. Er hat einen riesigen, schwarzen Zylinder auf dem Kopf und trägt einen langen Frack. ›Hochverehrtes Publikum‹, ruft er. ›Meine Damen und Herren! Heute geben wir eine ganz besondere Vorstellung, denn wir haben einen Ehrengast. Es ist die kleine Nina, die heute zehn Jahre alt wird.‹ Die Leute applaudieren wie wild. Hört ihr das? Der Direktor verbeugt sich vor unserer Loge, und jetzt kündigt er die erste Nummer an. Es sind die Pferde. Fünf wunderschöne weiße Pferde galoppieren in die Manege. Das Licht ist jetzt ganz blau, sodass sie richtig leuchten. Auf ihren Köpfen haben sie bunten Federschmuck, und ihre Augen sehen ganz schwarz aus. Sie galoppieren im Kreis und jetzt, jetzt stellen sie sich auf die Hinterbeine.

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