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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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Es sah dem Leo, den ich kannte, nicht ähnlich, ihr auf diese Weise wehzutun. Bis jetzt hatte er noch immer im entscheidenden Moment zurückgerudert.
    Nicht so an diesem Tag.
    »Was dann?«, fragte sie. Offenbar hatte sie sich entschlossen, ihn nicht weiter gewähren zu lassen.
    »Ich sag es!«, drohte Leo.
    Cathy nahm den Schläger vom Tisch und machte auf dem Absatz kehrt.
    Wie stolz ich auf sie war. Sie hatte sich nicht klein machen lassen.
    Sie öffnete die große Flügeltür zum Entree, ging hinaus und ließ die Tür absichtlich offen stehen.
    »Ich hasse dich!«, schrie Leo hinter ihr her. »Du dicke Kuh!«
    Und dann spürte ich seine heißen Finger um meinem Arm, blitzschnell holte er aus und schleuderte mich hinter ihr her.
    Wie soll ich die unglückselige Flugbahn beschreiben, die ich nahm? Sie war kurz. Doch der Wurf erfolgte mit Wucht, er trieb mir Tränen in die Augen. Vom Fahrtwind? Oder vor Enttäuschung, dass dieser Junge mich so missbrauchte? Leo hatte mit Cathy geübt, Ironie des Schicksals. Er war gut in den Ballsportarten und wusste nur zu genau, wie man werfen musste, um zu treffen. Er war ja nicht umsonst im Cricketclub.
    Seine Worte verfehlten ihr Ziel sicher nicht. Doch seine Wut beeinträchtigte sein Wurfvermögen, und ich krachte direkt gegen die Vase, die auf dem Sideboard links neben der Tür stand. Sie geriet ins Wackeln, und eine schreckliche Sekunde lang drehte sie sich langsam auf ihrem hauchdünnen Porzellanfuß.
    Bitte, nicht fallen. Nicht fallen!
    Dann kippte sie polternd um und stürzte zu Boden.
    Mir stockte der Atem. Diese Vase war Emilys ganzer Stolz. Niemand ging daran vorüber, ohne sie zu bestaunen. Niemand. Kein Besucher, der nicht die lange und gefahrvolle Reise dieses Stücks erzählt bekam.
    »Ming«, sagte sie dann immer, »ganz erlesene Qualität und nachweisbar aus dem Kaiserhaus.«
    Nicht auszudenken, wie Emily reagieren würde, wenn sie von diesem Malheur erfuhr.
    Wenn Scherben Glück bringen, muss dieses Glück weit außerhalb unseres Hauses stattgefunden haben. Uns brachten sie nur Unglück. Großes Unglück. Tausend Splitter blau-weißen Porzellans spritzten durch den Raum. Von der Vase war nichts mehr übrig als ein Haufen Scherben. Ich lag mittendrin und spürte, wie sich einzelne Bruchstücke in mein Fell bohrten. Der Schmerz war symbolisch für die ganze Szene.
    Leo saß vor Schreck erstarrt auf dem Sofa. Mit großen Augen schaute er mich und die Überreste der Vase an. Dann sprang er auf und stürmte aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und aus dem Haus.
    Ich hörte Cathys Schritte auf dem Flur. Der Krach war auch ihr nicht entgangen. Sie blieb neben mir stehen, hob mich auf und klopfte mir das Fell aus, wie sie es schon einmal getan hatte, im vergangenen Jahr, als sie mich in Paddington Station aus dem Staub auf dem Bahnsteig rettete. Dann sah ich, wie Tränen über ihre Wangen rannen. Still und ohne ein Geräusch.
    Ahnte sie bereits, dass sie verloren war?
    Bis zu diesem Tag liebte ich sie beide. Leo und Lili. Ich hatte die kleinen Wirbelwinde schnell in mein Herz geschlossen, es ließ sich gar nicht vermeiden. Denn auch wenn sie wild und unzähmbar schienen, so fühlte ich doch eine enge Verwandtschaft mit ihnen. Sie waren so direkt und klar und ehrlich – und sie sagten ihre Meinung unverblümt heraus, womit sie mir nicht selten aus dem Herzen sprachen. Sie stellten jene Fragen, die mich schon lange bewegten. Und spielten. Und lachten. Sie waren meine Gefährten und ich der ihre. Wir vertrauten einander.
    Ach, Leo. Wieso setzt du all das aufs Spiel?
    Arme Cathy.
    Der letzte Akt des Dramas ereignete sich am späten Nachmittag.
    Die Fenster leuchteten blitzsauber in der Sonne, die über den Fitzroy Square in die Zimmer des ersten Stocks fielen. Doch dafür hatte Emily Brown keine Augen, als sie den Salon betrat.
    Sie sah sofort, dass die Vase fehlte. Dort, wo sie gestanden hatte, saß ich Unglücklicher und wurde zum zweiten Mal an diesem Tag völlig unfreiwillig Zeuge blanker Verzweiflung.
    Emily wurde blass und ihre Haut wurde durchsichtig wie Pergament. Ihre Turmfrisur wackelte bedenklich, als ihr die Knie weich wurden. Sie strauchelte kurz, fing sich dann aber wieder, indem sie sich an dem Mahagoni-Sideboard festhielt. Sie atmete tief durch. Zwei Mal, drei Mal. Dann griff sie mit bebenden Fingern zur Glocke und läutete.
    »Miss Hold!«, rief sie, und ihre Stimme hatte einen hysterischen Klang, als sie sich überschlug. »Miss Hold.«
    Am nächsten Tag

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