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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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Händen die frisch geschrubbten Waschbecken verdarb. Und während sie das tat, knetete sie mit roten Wangen den Brotteig, rührte unverdrossen in Suppentöpfen und anderen Gefäßen. Ich saß derweil auf Lilis Schoß und war verzückt von dieser Welt, die so voll Abenteuer war. Von all diesen Orten, diesen Menschen und Ereignissen hatte ich noch nie etwas gehört. Doch, vom Krieg hatte ich viel gehört. Der schlimme Krieg, der Will genommen, der so viel Schaden angerichtet hatte und so viel Trauer hinterlassen. Aber Indien? Afrika? Mit der Zeit begriff ich, dass ich nur einen winzigen Teil der Welt kannte. Eigentlich so gut wie gar nichts. Und je umfassender mir dies zu Bewusstsein kam, umso größer wurde meine Neugier. Ich wünschte, Mary Jane würde nie aufhören zu erzählen, doch wenn sie hörte, dass Emily das Haus betrat, schickte sie uns mit einem ruppigen »Husch und jetzt nach oben, ihr stehlt mir die Zeit« aus der Küche.
    Upstairs verbrachte ich meine Zeit meist im Herrenzimmer oder im Damensalon. Wobei ich gestehen muss, dass mir das Herrenzimmer wesentlich lieber war, denn im Damensalon ereignete sich recht wenig. Emily saß gelegentlich auf ihrer kleinen Chaiselongue und las ein Buch, doch meist erst gegen Abend. Mittags nahm sie ihren Tee dort ein oder ging einer Handarbeit nach, doch das war neben den anderen Abenteuern, die es in diesem Haus zu erleben gab, vergleichsweise langweilig.
    Wenn die Herrschaften länger weg waren, duldete Miss Hold es manchmal, dass Musik gemacht wurde. In der Bibliothek, diesem dunklen, kühlen Raum mit Wänden aus Buchrücken, stand ein eigentümliches Gerät, das man dazu bringen konnte, von schwarzen Platten Lieder abzuspielen. Es hatte eine mächtige Kurbel an der Seite und einen Trichter, der sich wie ein riesiges Elefantenohr in die Höhe reckte. An diesen Tagen bot Cathy das beste Unterhaltungsprogramm. Sie putzte und wirbelte, flog mit frischen Sträußen von Lilien und Hortensien von Zimmer zu Zimmer, und manchmal hob sie mich von dem Kissen, auf dem ich gerade saß, und hielt mich am ausgestreckten Arm von sich.
    »Ob ich tanzen will? Aber gerne, der Herr!«, rief sie, und dann drehten wir uns, dass ihre Röcke flogen.
    Halt, mir wird schwindelig! Nicht so schnell!
    Wir wirbelten weiter, schneller und schneller, die Beine in der Luft, das Grammofon krächzte und knisterte.
    »Sie sind aber stürmisch, Mister Puddly, mir wird ja ganz schwindelig«, sagte sie völlig außer Puste und mit roten Wangen.
    So lernte ich Charleston tanzen. Mit Cathy. In der Bibliothek.
    Es ist merkwürdig: Ich schätzte Victor sehr, ich liebte es, ihm zuzuhören, wenn er über Dinge sprach, die ihm wichtig waren, wenn er seine Scherze machte oder den Kindern vorlas. Leo und Lili dachten sich verrückte Spiele mit mir aus, die ich mit Freuden mitspielte, vor allem, weil wir meist Expeditionen in entfernte Länder unternahmen, wo wir mit Schlangen, Tigern und Hugahugas kämpften – und doch habe ich damals den meisten Spaß immer mit Cathy gehabt. Sie hatte manchmal ein wenig Ähnlichkeit mit Alice, nicht so sehr äußerlich, sondern vielmehr in ihrer Art, sich über Dinge zu freuen. Es war eine Freude, die von innen kam. Ehrlich und anspruchslos. Sie strahlte so wunderschön, wenn wir tanzten. Ich wünschte, sie würde immer lachen und so fröhlich sein. Doch die Wünsche eines Bären scheinen an der entscheidenden Stelle nicht bevorzugt behandelt zu werden.
    Emily empfing nur gelegentlich Freundinnen. Meistens luden die Browns zum Dinner oder zu geselligen Zusammenkünften ein, und dann kamen Schriftsteller und Schriftstellerinnen und allerhand Leute mit anderen verrückten Berufen: Künstler, Maler, Bildhauer, die meisten von ihnen kannten sich aus Studienzeiten, waren schon in Cambridge Mitglieder des gleichen Zirkels gewesen. Aus guter Tradition trafen sie sich meist an Donnerstagen, und dann wurde debattiert. Bald füllte sich der Salon mit Stimmen und Leben. Die Luft wurde schwer und immer schwerer, geschwängert von Rauch und großen Gedanken.
    Die Gespräche waren an diesen Abenden ganz anders als das fröhliche Geschichtenerzählen, das ich aus der Küche kannte. Vieles verstand ich nicht. Sie benutzten Begriffe, mit denen ich nichts verband, redeten über abstrakte Dinge, die mir fremd waren. Gesellschaft, Rechte, Befreiung, Kolonialismus – was sollte ein Neuling auf dieser Erde, wie ich einer war, davon halten?
    Was meinte die nervöse Virginia, wenn sie, langsam an

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