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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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Restaurant zu suchen hat«, ging Miss Augusta Hobhouse dazwischen.
    Von meiner Seite aus war damit der Fall erledigt. Augusta Hobhouse war bei mir unten durch, ehe die Vorspeisenteller abgeräumt waren. Doch Emily fühlte sich natürlich durch Miss Hobhouse bestätigt und schämte sich jetzt vollends ihrer Kinder. Verzweifelt sah sie ihren Mann an.
    »Verehrteste, ich hoffe, Sie können in diesem Fall ein Auge zudrücken«, übernahm Victor daraufhin charmant die Gesprächsführung und sagte mit einem besonderen Ton der Besorgnis in der Stimme: »Der Bär muss dabei sein. Er ist Teil eines sozialwissenschaftlichen Experiments, über das demnächst ein sehr wichtiges Buch erscheinen wird. Ich könnte dafür sorgen, dass man Sie für Ihre Unterstützung lobend erwähnt, Miss … äh … Miss Hobster.«
    Emily hob die Hand an die Stirn. Die Kinder schwiegen. Mister Wright lehnte sich zu Lili hinüber und sagte leise:
    »Es war wirklich nicht meine Absicht, Sie nass zu spritzen, verehrtes Fräulein.«
    »Schon gut«, antwortete sie und zwinkerte ihm zu. Er lächelte zu traurig für einen Mann, dem gerade von einem kleinen naseweisen Mädchen aus schönen braunen Augen zugeblinzelt wurde.
    »Hobhouse, Augusta Hobhouse«, sagte Augusta schnell, und ihre Stimme hob sich bei jeder Silbe, als sie fortfuhr: »Aber lieber Mister Brown! Das würden Sie für mich tun? Es wäre unserer Sache sicher dienlich.«
    Welche Sache? Welches Experiment?
    Victor beging im Gegensatz zu mir nicht den Fehler, nach »der Sache« zu fragen, dafür tat Emily ihr den Gefallen.
    »Ich sage nur ›Taten statt Worte‹!« Augusta Hobhouse geriet in Rage. Mich, den ramponierten Bär, schien sie längst vergessen zu haben. Sie fuhr fort: »Wir Frauen müssen für unsere Sache kämpfen, nicht wahr Emily. Ich war beim Sturm auf das Unterhaus dabei, ich weiß, wovon ich rede.«
    »Sie waren bei den Suffragetten?«, fragte Emily erstaunt. »Kennen Sie Emmeline Pankhurst persönlich?«
    Sie konnte ihre Neugier nicht bezwingen, die Schriften der Frauenrechtlerin waren auch in den Donnerstagsrunden zu Hause in Bloomsbury immer wieder Thema gewesen. Von Emmeline Pankhurst hatte selbst ich gehört, obwohl die Frauenfrage, sagen wir, nicht mein vordringlichstes Interesse war.
    »Selbstverständlich! Ich habe Seite an Seite mit Emmeline gekämpft. Aber das ist ja schon lange her, über zehn Jahre. Doch ich habe nicht aufgegeben. Wir Frauen brauchen unsere Rechte! Ich leiste jetzt auf andere Art Widerstand«, sagte Augusta und lehnte sich verschwörerisch zu Emily hinüber.
    »Ich schreibe!«, flüsterte sie so laut, dass es alle am Tisch hören konnten.
    Victor verschluckte sich beinahe an seinem Perlhuhn in Rotwein, Mister Wright sah nicht einmal von seinem Teller auf.
    In dem Moment war ich sicher, dass die einzige Sache, für die sich Augusta Hobhouse einsetzen würde, Augusta Hobhouse hieße, so selbstverliebt tat sie ihre Berufung kund.
    »Ich gehe nach New York, um mich inspirieren zu lassen. Sie sind ja so viel moderner, die Amerikaner. So viel fortschrittlicher«, setzte sie noch hinzu.
    »Ich habe Mrs Pankhurst immer sehr bewundert«, sagte Emily ernst und überging die Hustenattacke ihres Mannes.
    »Ja, sie war großartig. Wie schade, dass sie verrückt geworden ist«, sagte Augusta mit falscher Anteilnahme und fuhr mit gesenkter Stimme fort: »Aber ich sage Ihnen, die Stimme unserer Zukunft heißt Virginia Woolf. Ich habe ihr neuestes Buch dabei: ›Jacob’s Room‹. Hervorragend, wirklich her-vorra-gend.«
    Es freute mich dann doch, dass Augusta Hobhouse die Bücher von Virginia schätzte. Ich konnte zwar nicht lesen und wusste auch nicht, wovon ihre Bücher handelten, aber ich mochte ihre Art, über Literatur zu sprechen, ich mochte es, wie sie bei uns in Bloomsbury auf dem Sofa lümmelte, sich Zigaretten drehte und Whiskey trank, den sie nicht besonders gut vertrug, und ich mochte ihre Art. Zart und hart zugleich.
    Ich erwartete schon Leos Ausruf: »Was? Virginia Woolf? Sie ist meine Patentante und spinnt auf jeden Fall auch«, oder etwas in der Art. Ich sah, wie Victor sich aufsetzte, wahrscheinlich befürchtete er dasselbe. Dann sandte er zwei Blicke in Richtung der Kinder, ein kaum sichtbares Kopfschütteln in Emilys Richtung, und das Thema wurde sanft, aber bestimmt gewechselt. Virginia wurde mit keinem weiteren Wort erwähnt.
    Wie immer, wenn solche aufdringlichen Menschen in mein Leben traten, wurde ich innerlich immer stiller. Ich genoss in

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