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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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waren restlos begeistert. Sie drängten sich zwischen den Tischen hindurch an die großen Fenster, die noch höher waren als zu Hause, und schauten dem immer kleiner werdenden England nach. Die Möwen hoben sich gen Himmel und segelten still neben uns her. Rauchschwaden von vereinzelten Zigarren zogen durch den Salon, hängten sich in die schweren Brokatvorhänge.
    Zu all der Pracht, die Lili immer wieder den Ausruf: »Das sieht aus wie bei den Royals« entlockte, kam noch etwas, das mir die Sinne benebelte. Der Geruch des Meeres. Salzwasser.
    Es roch nach Unendlichkeit und Unergründlichkeit. Nach Leben und Tod gleichzeitig. In all meiner Eingeschränktheit, meiner Stummheit und meiner Bewegungslosigkeit habe ich mich nie wieder so frei und so lebendig gefühlt, wie in den Tagen an Bord der RMS Majestic, wenn Lili und ich an der Reling standen, dem Stampfen des Schiffes lauschten, dem Kreischen der Möwen und dem Rollen der Wellen. Bis heute habe ich diesen Geruch und auch das damit verbundene Gefühl nicht vergessen, und nicht selten habe ich in Stunden der Beklemmung und Enge die Erinnerung daran hervorgekramt wie einen kostbaren Schatz. Ich bemühe sie nicht oft, denn ich habe Angst, dass sie sich abnutzt.
    Die Verzückung der Browns nahm kein Ende, vor allem, als Lili das Schwimmbad entdeckte. Natürlich hatten auch hier nur Gäste der Ersten Klasse Zutritt. Umgeben von zehn hohen Marmorsäulen, lag der Pool noch völlig friedlich da. Von oben fiel durch die bleiverglaste Decke sanftes Licht herein und spiegelte sich auf dem Wasser, das im Rhythmus des Schiffes sanft wogte.
    Ein Pool auf dem Meer? Wozu das gut sein sollte war mir schleierhaft. War man nicht auf dem Schiff, gerade weil man nicht selbst nass werden wollte?
    Ein Mann in einem rot-weiß gestreiften Badeanzug belehrte mich eines Besseren. Ein Handtuch über dem Arm, ging er an der Balustrade im zweiten Stock der Schwimmhalle entlang und kam festen Schrittes die Marmortreppe hinunter. Er stellte sich an eine der Leitern, hielt prüfend einen Zeh ins Wasser und streckte anschließend tiefernst zwei Mal die Arme in die Höhe. Dann vollführte er einen Kopfsprung und spritzte Lili und mich nass. Wir kamen aus unserem Versteck hinter der Säule hervor und schlichen uns nach draußen, wo Leo und Victor einen Offizier in die Finger bekommen und in eine Fachdiskussion über Dampfmaschinen verwickelt hatten.
    »Was ist euch denn passiert?«, fragte Victor, als er Lilis nassgespritztes Kleid sah. Ich war dank des Regenmantels trocken geblieben.
    »Eine Welle ist über uns zusammengeschlagen, als sie das Achterdeck überspülte«, antwortete sie ernsthaft.
    »Ist jemand über Bord gegangen?«, fragte Victor ebenso ernsthaft.
    »Drei oder vier alte Frauen und ein Hund«, entgegnete Lili.
    »Der arme Hund«, sagte Victor.
    Der Offizier schaute hilflos von einem zum anderen. Als niemand Anstalten machte, ihn aufzuklären, ging er ohne ein weiteres Wort davon.
    »Schade, der Mann hat keinen Humor«, sagte Victor.
    »Dabei schien er sonst ganz nett zu sein«, sagte Leo.
    Wir gingen zurück zur Kabine, um nach Emily zu sehen. Vielleicht brauchte sie ja ihr Riechsalz. Doch sie war bereits auf dem Wege der Besserung und hatte angefangen, sich für das Dinner herzurichten.
    Im Gegensatz zu Mortimer Wright konnte einem Augusta Hobhouse wahrhaftig auf die Nerven gehen. Sie saßen beide an unserem Tisch im Restaurant. Die Dame war noch schlimmer als Elizabeth Newman. Sie plapperte wie ein Wasserfall, verfügte über reichlich ererbtes Geld und gab sich keine Mühe, das zu verheimlichen. Mister Wright hingegen war sehr verschwiegen. Mit leiser Stimme hatte er sich vorgestellt, Emily und Lili die Hand geküsst, »Es freut mich« gesagt und Platz genommen. Lili sagte:
    »Sie haben mich heute Nachmittag nass gespritzt.«
    »Habe ich das, junge Dame? Das täte mir leid.«
    »Lili!«, ermahnte Emily und setzte an Mister Wright gewandt hinzu: »Bitte verzeihen Sie …«
    »Ich habe niemanden gesehen, das Bad war doch leer«, sagte er. Sein blasses, hageres Gesicht wirkte ehrlich vergrämt.
    »Wir standen hinter einer Säule.«
    »Wir?«
    »Puddly und ich«, erklärte Lili und deutete auf mich.
    Und Mortimer Wright lächelte still und nickte.
    Ich hatte im Restaurant keinen eigenen Platz bekommen, doch Lili hatte gegen den Widerstand ihrer Mutter durchgesetzt, dass ich mit in den Speisesaal kam.
    »Ich habe mich ohnehin schon gefragt, was dieser ramponierte Bär hier im

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