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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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hingenommen und waren berechtigterweise froh darüber, dass man ihnen keinen tiefbraunen Nazi ins Gesindehaus gesetzt hatte, sondern lediglich einen freundlichen Soldaten. Sie waren sich durchaus im Klaren, dass diese Freundlichkeit eher heute als morgen in schrecklichste Bestrafungen umschlagen konnte, wenn sie nur einen falschen Satz sagten. Ingvild mochte Friedrich, den Menschen, aber der Soldat folgte ihm wie sein eigener Schatten. Und der machte ihr Angst. Immer noch. Natürlich.
    »Warum hörst du nicht einfach auf, Magnus?«
    »Aufhören? Ich fange gerade erst an. Wir haben uns organisiert.«
    Mein Herz setzte aus. Sie hatten sich organisiert. Was bedeutete das? War er bei den Partisanen?
    »Das ist nicht dein Ernst!«, rief Ingvild entsetzt aus.
    »Mein voller Ernst«, erwiderte er.
    »Nicht so laut.« Ingvild sah sich erschrocken um.
    »Wo ist euer Fritz jetzt?«, fragte Magnus.
    »Beim Dienst.«
    »Dann kann uns ja keiner hören.«
    »Das weiß man nie.«
    Das stimmt. Ich höre sehr gut.
    »Wir müssen Widerstand leisten. Das ist unsere verdammte Pflicht als Bürger dieses Landes«, fuhr Magnus hitzig fort.
    »Du hast ja recht«, sagte Ingvild. »Aber du weißt doch selbst, was darauf für Strafen stehen.«
    »Vor zwei Wochen haben die Nazis drei Männer hingerichtet, als Racheakt. Die Männer hatten noch nicht einmal etwas getan«, sagte Magnus leise. »Wir dürfen uns nicht in diese Schreckensherrschaft fügen.«
    Mir wurde heiß und kalt. Ich bekam hier auf dem Hof eindeutig zu wenig mit. Ich wusste, dass Magnus sich nicht verhört hatte. Zwar waren die Soldaten dazu angehalten, sich friedlich und ruhig zu verhalten, doch die Männer von der Waffen-SS und die ranghöheren Offiziere verfolgten auch hier in Norwegen den bestialischen Plan ihres Führers, sich die Erde untertan zu machen – mit welchen Mitteln auch immer. Ich hätte an Magnus’ Stelle ebenfalls rebelliert.
    »Vielleicht hat dein Friedrich sie exekutiert«, sagte Magnus hart.
    Ingvild schwieg. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen.
    Alles in mir sträubte sich. Ich wusste es, ich hatte es immer gewusst. Soldaten schossen auf Menschen. Zu hoffen, dass ein anderer diesen Befehl ausgeführt hatte, war absurd. Es änderte nichts: Befehl ist Befehl – so ist der Krieg.
    »Sollen wir uns so klein machen lassen?«, fragte Magnus weiter.
    »Was willst du tun?«, fragte Ingvild.
    »Das wirst du früh genug erfahren.«
    »Du bringst uns alle in Gefahr.«
    »Aber wir brauchen deine Hilfe«, sagte er und sah sie bittend an.
    »Wie denn?« Ingvild klang entsetzt.
    »Du verstehst dich doch so gut mit deinem Fritz. Du musst ihn aushorchen.«
    »Das kann ich nicht. Das geht nicht. Das ist … Er ist …«
    »Ingvild, wach auf. Du musst uns helfen. Willst du nach diesem Krieg dastehen und dich deinem Volk gegenüber schuldig gemacht haben?«
    Schweigen.
    »Nein«, sagte Ingvild langsam. »Das will ich nicht.«
    »Hast du gehört, dass die Lehrer streiken? Sie wehren sich dagegen, dass die Deutschen unsere Kinder verderben und sie mit ihrem Nazi-Geschwätz vollpumpen. Du willst doch auch nicht, dass aus Guri so ein Kind wird?«
    »Fritz mag Guri«, wandte Ingvild leise ein und nahm mich auf den Arm. Sie hielt mich vor sich wie einen Schutzschild. »Und sie mag ihn.«
    »Er ist einer von ihnen. Und die Deutschen mögen keine Kinder. Sie sind für sie nur Mittel zum Zweck.«
    Magnus brach abrupt ab, als er Friedrich entdeckte, der im Laufschritt den Weg hochkam.
    Sein Kopf war rot vor Anstrengung, und seine Mütze war verrutscht.
    »Wir müssen etwas tun«, sagte Magnus noch, und Friedrich rief schon von weitem:
    »Guri! Ingvild, Torleif!«
    Im Laufen schwenkte er einen Brief hoch über dem Kopf.
    »Kommt alle her! Hört, was meine Marlene mir geschrieben hat! Stellt euch vor: Ich werde Vater! Ich kriege einen kleinen Stammhalter. Ist das nicht toll? Marlene und ich kriegen ein Kind!«
    »Ich schaue nach Mulla«, sagte Magnus und ging in den Stall.
    Friedrich war außer sich vor Freude, und ich war außer mir vor Angst. Magnus hatte recht, die Norweger mussten sich wehren, genau wie sich die Franzosen gewehrt hatten und wie jedes Volk es in dieser Situation tun würde. Es ging um ihre Ehre, um ihre Selbstbestimmung und um ihre Freiheit. Niemand darf über andere bestimmen. Ob du ein Mensch bist oder ein Bär: Über deine Gedanken herrschst nur du allein.
    Aber Magnus hatte auch unrecht, es gab Deutsche, die Kinder liebten, und Friedrich war einer davon. Er

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