Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
die anderen Studenten aufstanden und den Saal verließen, ohne mich anzusehen, eher im Gegenteil, sie schwiegen und waren auf sonderbare Art und Weise miteinander beschäftigt. Der Bescheid war klar und deutlich, er lautete: »Bernhard Hval, wir möchten Sie freundlich darum bitten, nicht so viele Körpergeräusche zu produzieren, da wir mehrere Beschwerden erhalten haben, sowohl schriftlich als auch mündlich. Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, müssen wir Sie bitten, sich von den Lesesälen und Auditorien fernzuhalten, um den Einsatz der anderen Studenten nicht zu gefährden. Sollten Sie meinen, dass es sich um ein Missverständnis handelt, oder das Ganze als Verunglimpfung ansehen, können Sie in den Foren und Instanzen, die uns zur Verfügung stehen, Widerspruch einlegen, und wir sind im Namen der Studenten der medizinischen Fakultät bereit, die Angelegenheit bis in die höchste Instanz zu verfolgen, falls nicht unmittelbar eine Veränderung eintritt. Mit freundlichen Grüßen.« Ich blieb ganz still in dem leeren Lesesaal sitzen, in dem sich das grüne Licht mit dem Geruch von Papier, Tinte, alten Schriften und meinem eigenen Schweiß vermischte. Wie lange blieb ich so sitzen? Ich weiß es nicht. War es bereits zu diesem Zeitpunkt, dass ich einsah, dass ich nicht wollte, dass es weitere wie mich geben sollte, dass es mein Wunsch war, dass ich mit mir selbst aussterbe? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich diesen Brief vierzehn Mal zusammenfaltete, bis er nicht größer war als eine Briefmarke, meine Notizen und Bücher in die Tasche schob, die Lampe ausschaltete und auf vielen Umwegen nach Hause ging, in das, was ich im Rückblick betrachtet als meine dunklen Semester ansehe. Ich gab Alfred bei vollem Lohn frei. Als der loyale, diskrete Mann, der er war, fragte er nicht, warum, sein Mangel an Neugier war formidabel. Er versprach mir dagegen, den Roadster in der Zwischenzeit instand zu halten, so dass er in kürzester Zeit bereit stehen konnte, um mich zu fahren, wenn ich es wünschte. Ich bot ihm in einem Anfall unbedachter Güte an, in die Wohnung im Skovveien zu ziehen, was er sehr schnell und entschieden dankend ablehnte, als hätte ich den armen Mann zu Tode erschreckt. Gott segne dich, Alfred! Ich verlor ein Jahr, aber es war trotz allem nicht weggeworfen, das versuche ich mir selbst einzureden. Ich zog die Vorhänge vor und saß im Skovveien und paukte, las, schnaubte, trampelte, schluckte, knackte, lernte, fluchte, mein ganzes Galimatias, Hand, Hexenschuss, Hirn, Hoden , ich paukte, las, zählte die Schläge der Uhr, und nicht zuletzt trank ich. Ich fing an zu trinken, um mich wach zu halten. Zuerst trank ich die Flaschen leer, die Mutter und Signe stehen gelassen hatten, das meiste war Sherry, Likör und diese Art süßer Sachen. Ich ging nur aus dem Haus, wenn ich etwas zu essen brauchte, was nicht viel war, und Alkohol, von dem ich umso mehr brauchte. Das Problem war, dass es die Zeit der Prohibition war. Branntwein und Dessertwein waren verboten. Starke Sachen zu trinken war also ein Verbrechen. Ich musste mich mit Wein und Bier begnügen. Ich wechselte die Verkaufsstellen und Lebensmittelläden, damit die Verkäufer mich nicht wiedererkannten und so den Umfang meines Einkaufs hätten ermessen können, Majorstuen, Drammensveien, Fritjof Stangs gate, weiter, immer weiter musste ich gehen, ja, ich überquerte sogar den Fluss unten auf der Vaterlandsbrücke, um in Grünerløkken und Torshov zu bunkern. Doch das nahm zu viel Zeit in Anspruch. An einigen Stellen wurde ich abgewiesen. Die Angestellten meinten, ich sei bereits betrunken genug oder minderjährig. Ich und minderjährig! Ich, Bernhard Hval, eingeschrieben an der königlichen Universität, der medizinischen Fakultät, minderjährig und betrunken genug! Ich schlug auf den Tisch. Was denken Sie von mir! Ich veranstaltete ein sinnloses Theater und wurde natürlich vor die Tür geworfen. Ich konnte sie gut verstehen. Das hätte ich auch getan. Ein rechthaberischer Alkoholiker, was Trinker nun einmal sind, hört nicht zu, er hört nur auf seine eigene Stimme, und diese Stimme kennt fast nur ein einziges Wort: mehr, und anschließend noch ein weiteres Wort: noch mehr. Dieses Spülwasser reichte nicht für lange Zeit, außerdem wurde ich feist und langsam in den Kurven. So ging es einfach nicht weiter. Schließlich überwand ich all mein Schamgefühl, setzte Leib und Leben und mein Ansehen aufs Spiel und schlich mich zu nächtlicher
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