Die Uno
dafür war jedoch nur über die Feststellung einer Bedrohung der internationalen Sicherheit zu erhalten. Weder der Zerfall der staatlichen Ordnung noch die damit einhergegangene menschliche Tragödie hätten für sich betrachtet ein militärisches Eingreifen in die innerstaatlichen bewaffneten Auseinandersetzungen rechtfertigen können.
Die Autorisierung einer derartigen Intervention durch den Sicherheitsrat setzt aber nicht nur voraus, dass sich die erforderliche «Internationalisierung» eines Konflikts möglichst überzeugend konstruieren lässt, sondern auch, dass sie von seinen ständigen Mitgliedern überhaupt als politisch opportun in Erwägung gezogen wird. Der Sicherheitsrat mischt sich nämlich immer dann nicht ein, wenn ein ständiges Mitglied direkt oder indirekt in einen innerstaatlichen Krieg verwickelt ist. Die Mechanismen, die dann verhindern, dass das vorhandene Interventionsinstrumentarium ausgeschöpft wird, lassen sich am Tschetschenien-Konflikt trefflich verdeutlichen. Der Sicherheitsrat wird wegen dieses Konflikts von keinem Staat angerufen, obwohl sich auch hier ein internationaler Zusammenhang herstellen ließe, etwa unter Verweis auf Waffenlieferungen an die Rebellen. Dennoch wird der Konflikt aus Opportunitätserwägungen tabuisiert: «Hackst du mir wegen meines Konflikts in Tschetschenien kein Auge aus, dann werde ich mich auch aus deinem Konflikt in Tibet heraushalten».
Die veränderten Anforderungen an das sicherheitspolitische Instrumentarium der Vereinten Nationen lassen sich als eine dreifache Entstaatlichung der Sicherheitsproblematik zusammenfassen: Entstaatlichung durch private Gewaltanwendung, durch den Zerfall von Staatsmacht und nicht zuletzt durch eine verstärkte Berücksichtigung von Sicherheitsbedürfnissen derZivilbevölkerung und der Individuen. Diese dritte Dimension der Entstaatlichung der Sicherheitsproblematik ist eng mit dem Konzept der menschlichen Sicherheit (
human security
) verknüpft, das im Bericht des UNDP über die menschliche Entwicklung 1994 zum ersten Mal Erwähnung fand. Es richtet sich gegen ein Verständnis von Sicherheit als der Sicherheit eines Territoriums vor militärischen Angriffen von außen, bei dem der Schutz des einzelnen Staates und nicht der Schutz des einzelnen Menschen im Vordergrund steht. Das Konzept der menschlichen Sicherheit adressiert demgegenüber die Ursachen aller Gefährdungen der menschlichen Existenz, von Hunger über Verbrechen bis zu politischer Unterdrückung, und verknüpft so die Friedens-, die Entwicklungs- und die Menschenrechtsagenda der Vereinten Nationen miteinander. Indem dieses Konzept sowohl eine staatliche Verantwortung für die Wahrung der Sicherheitsbedürfnisse der Individuen als auch eine internationale Verantwortung dafür propagiert, die einzelnen Staaten dazu in die Lage zu versetzen, stellt es eine Provokation für diejenigen dar, in deren Augen sich die Vereinten Nationen als eine zwischenstaatliche Organisation zuvorderst in den Dienst der nationalen Sicherheit zu stellen haben.
1. Die Wirksamkeit des Sanktionsregimes der Vereinten Nationen
Bevor man sich allerdings der Frage zuwendet, inwieweit die vorhandenen Sanktions- und Interventionsmöglichkeiten der Vereinten Nationen den skizzierten neuen Herausforderungen noch genügen, sollte zunächst geklärt werden, ob sie denn für die alten überhaupt ausreichend waren. Die wenigen Beispiele, wie der Korea-Krieg 1950, die Intervention nach der Invasion Kuwaits durch den Irak 1990 oder der Militäreinsatz im somalischen Bürgerkrieg 1992, verdeutlichen, dass sich der Sicherheitsrat bisher nur ganz selten des Instruments der militärischen Zwangsmaßnahmen bedient und noch nie kollektive Sicherheitsmaßnahmen unter eigenem Oberkommando durchgeführt hat.
Um dies zu verstehen, sollte man bedenken, dass im internationalen Raum die militärischen Erzwingungsinstrumente, die benötigt werden, um gegen Regelbrecher vorzugehen, nicht ohne Weiteres zur Verfügung stehen. Obwohl die Unterordnung von Gewalt unter das Recht ein vorrangiges Ziel der Vereinten Nationen darstellt, zeigt gerade das mit der Charta etablierte kollektive Sicherheitssystem, wie prekär das Verhältnis zwischen völkerrechtlich eingeschränkter und nackter Machtausübung ist und bleibt. Denn einzelstaatliche Macht muss in einem solchen Rechtssystem auch effektiv unter das Recht gezwungen werden können. Dies ist aber nur unter Rückgriff auf staatlich bereitzustellende Zwangsmittel
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