Die Uno
möglich. Solange diese aber in den Händen einiger weniger Staaten konzentriert sind, können auch nur diese die Funktionsfähigkeit des kollektiven Sicherheitssystems «von ihren Gnaden» garantieren. Damit kann dieser eigentlich innovative Ordnungsansatz dem Schatten der Macht nicht entfliehen. Der einzige – allerdings auch nicht gänzlich triviale – Unterschied zum alten «Konzert der Großmächte» besteht darin, dass deren Verhalten heute nicht mehr nur Machtschranken unterliegt, sondern sich auch an den normativen Zwängen des Völkerrechts messen lassen muss. Trotzdem bleibt die Funktionsfähigkeit des kollektiven Sicherheitssystems eine Resultante des Zusammentreffens kollektiver Friedens- und individueller Machtinteressen.
Aufgrund dieser Machtinteressen konnte das System kollektiver Sicherheit während des Kalten Kriegs nicht funktionieren. Seine Grundphilosophie, alle übrigen Staaten würden sich stets geschlossen einem jeweiligen Rechtsbrecher entgegenstellen, hatte mit der realweltlichen Blockbildung nichts mehr gemein. Allerdings würde es zu kurz greifen, wenn man das Versagen des kollektiven Sicherheitssystems allein dem Ost-West-Konflikt anlasten wollte. Die Mängel sind in der Konstruktion selbst angelegt. Es lässt sich weder direkt gegen eines der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats anwenden noch indirekt in Fällen, in denen dies aus sonstigen Gründen nicht im Interesse eines der ständigen Sicherheitsratsmitglieder liegt. Daraus zog Ernst-Otto Czempiel den ernüchternden Schluss, «dass die KollektiveSicherheit ein Mythos ist, niemals funktioniert hat und auch gar nicht funktionieren kann.» Ein schlagender Beleg für die Richtigkeit des machtpolitischen Deutungsansatzes?
In der Eskalationsleiter der Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der Charta sieht Artikel 41 vor dem Einsatz militärischer Gewalt zunächst nichtmilitärische Sanktionen vor. Auch sie wurden während des Kalten Krieges lediglich zwei Mal eingesetzt, und zwar gegenüber Südrhodesien im Jahr 1966 sowie 1977 gegenüber Südafrika. Seit 1990 häuften sie sich allerdings. Unter anderem wurden solche Sanktionen gegen den Iran, Irak, das ehemalige Jugoslawien, Libyen, Liberia, Haiti, Angola, Ruanda, Sudan, Sierra Leone, Afghanistan, Äthiopien und Eritrea verhängt. Der Sicherheitsrat greift auf dieses Instrument vor allem deshalb gern zurück, weil es relativ billig ist – es müssen zum Beispiel keine kostspieligen Truppen bereitgestellt werden –, verhältnismäßig wenig Schaden anrichtet und in seiner symbolischen Funktion sowohl als kollektive Verurteilung des Verhaltens eines Staates als auch als Ausdruck von Handlungsbereitschaft geschätzt wird. Es war ursprünglich nur auf Staaten und nicht auf Bürgerkriegssituationen gemünzt, in denen der staatliche Adressat nicht mehr funktionsfähig ist, oder gar auf die Bedrohung durch transnationale Terrororganisationen.
Aber bereits im Fall von Diktaturen wird die Wirksamkeit nichtmilitärischer Sanktionen fraglich. Ihre Effektivität setzt nämlich auf einen Wirkungsmechanismus, bei dem die mit Sanktionen belegte Regierung von der darunter leidenden Bevölkerung unter Druck gesetzt werden können muss. Dies setzt aber voraus, dass das betroffene Regime überhaupt Spielräume dafür lässt. Im ungünstigsten Fall kann es sogar dazu kommen, dass sich die Bevölkerung mit dem Regime solidarisiert. Sanktionen wären dann nicht nur nutzlos, sondern sie würden ab einer bestimmten Schwelle von humanitären Kosten bei der betroffenen Bevölkerung auch ihre Legitimität einbüßen und damit die Reputation der Vereinten Nationen beschädigen.
Nichtmilitärische Sanktionen haben ihre Ziele bisher meistens verfehlt. So konnten mit dem nach 1990 gegen den Irak verhängten umfassenden Außenhandelsverbot, das nur Ausnahmenbei Nahrungsmitteln («
oil for food
») und humanitären Gütern erlaubte, weder die Befreiung Kuwaits noch die Entwaffnung des Irak noch ein Regimewechsel erreicht werden. Erst die Drohung mit gezielten Militärschlägen brachte die Inspektion der im Irak vermuteten Massenvernichtungswaffen voran, und erst mit der Durchführung militärischer Zwangsmaßnahmen wurden die drei genannten Ziele erreicht. Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass nichtmilitärische Sanktionen zumindest gegenüber diktatorischen Regimen erst dann die beabsichtigten Wirkungen entfalten, wenn sie im Schatten der glaubhaften Androhung von militärischen Zwangsmaßnahmen
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