Die Uno
Instrumentalisierungsversuchen einigermaßen resistent zu sein. Mit dem um sich greifenden Staatsversagen droht ihnen jedoch eine wichtige Säule ihrer Funktionsfähigkeit wegzubrechen.
4. Staatenreparatur und Demokratisierung: die Friedensmissionen der Vereinten Nationen vor neuen Aufgaben
Zu denjenigen Entwicklungen, die von den Gründern der Vereinten Nationen wahrscheinlich am wenigsten antizipiert wurden, zählt ohne Zweifel die heutige Praxis der Entsendung von Friedensmissionen. Nicht allein die Tatsache selbst, dass sichdas Instrument der Blauhelme-Einsätze nirgendwo in der Charta finden lässt, sondern vor allem die sukzessive Ausweitung des Aufgabenkatalogs, der Einsatzmittel und der Einsatzgrundsätze konnte kaum vorhergesehen werden. Sie offenbart aufs Neue, in welchem Umfang die Bewältigung innerstaatlicher Konflikte der klassischen Aufgabe der Vereinten Nationen, Streitigkeiten zwischen Staaten beizulegen, inzwischen den Rang abgelaufen hat. Die schutzbedürftigen Adressaten der Friedensmissionen sind heute kaum noch Staaten, aber immer häufiger deren Bevölkerungen. Mit dieser Neubestimmung der Sicherheitsproblematik als existenzielle Bedrohung des einzelnen Menschen sind die Grenzen zwischen den sicherheitspolitischen und den humanitären Aufgaben und Einsätzen der Vereinten Nationen verschwommen, mitsamt der Regeln, denen sie jeweils folgen sollten.
Das klassische
peace-keeping
galt der Überwachung von Waffenstillständen oder der Einrichtung von Pufferzonen zwischen den Konfliktparteien. Es erfolgte auf Beschluss des Sicherheitsrats, setzte die Zustimmung aller Konfliktbeteiligten voraus und beschränkte sich auf leichtbewaffnete militärische Einheiten, Polizisten oder ziviles Personal, die von den Mitgliedstaaten, aber – um die Akzeptanz zu erhöhen – nie von den Großmächten bereitgestellt wurden. Der Einsatz von Waffengewalt durfte lediglich der Selbstverteidigung dienen. Die vermeintliche Neutralität der Einsätze muss allerdings ebenso wie die Vorstellung, dass es sich dabei nicht um Interventionen handelt, als eine Fiktion betrachtet werden. Mit ihrer Aufgabe, die streitenden Parteien auseinander zu halten und eine Ausweitung des Konflikts zu vermeiden, um zur Stabilisierung der Konfliktsituation beizutragen, ergriffen Friedensmissionen schon immer auch und unausweichlich Partei – für die Stabilisierung des Status quo. Die Blauhelme wurden nur in solchen Konflikten eingesetzt, in denen sich bereits eine Annäherung zwischen den Konfliktparteien abzeichnete. Sonst hätten diese der Entsendung auch kaum zugestimmt, außerdem hätten sich die kaum bewaffneten Friedenstruppen der Gefahr ausgesetzt, selbst zur Zielscheibe zu werden.
Seit der Entsendung der ersten Beobachtermission zur Überwachung des Waffenstillstands zwischen Israel und seinen Nachbarn (UNTSO) im Jahr 1948 sind die
peace-keeping operations
der Vereinten Nationen in ihrem Umfang, ihren Funktionen, aber vor allem hinsichtlich ihrer Geschäftsgrundlagen in völlig neue Dimensionen vorgestoßen. Damit haben sie die UNO allerdings auch an den Rand der politischen und finanziellen Leistungsfähigkeit geführt. Im September des Jahres 2009 waren über 95.000 Soldaten und Polizeikräfte aus 116 Mitgliedstaaten in 15 gleichzeitig laufenden UNO-Friedensmissionen im Einsatz. Hinzu kamen im Zivilbereich weitere 20.000 Personen. Die größten Kontingente umfassten die MONUC-Mission in der Demokratischen Republik Kongo (Truppenstärke über 16.000), die zusammen mit der Afrikanischen Union durchgeführte UNAMID-Mission in Darfur (über 13.000) und die UNIFIL-Mission im Libanon (über 12.000).
Solange sich die friedenssichernden Operationen auf Einsätze beschränkten, bei denen die Konfliktparteien bereits gewillt waren, einen zwischen ihnen bestehenden Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen, reichte die klassische Geschäftsgrundlage der Blauhelme-Einsätze («mit Zustimmung und ohne Gewalt») noch aus, ebenso für Einsätze mit dem Ziel der Friedenskonsolidierung nach erfolgreicher Beendigung eines Konflikts (
peacebuilding
). Diese Geschäftsgrundlage genügte jedoch schon nicht mehr für erweiterte Friedenssicherungsmissionen zur militärischen Absicherung von humanitären Hilfstransporten und bot erst recht keine Möglichkeiten mehr für humanitäre Interventionen zum Schutz von Bevölkerungen in Bürgerkriegssituationen, wie die Vereinten Nationen in Somalia und im früheren Jugoslawien schmerzlich erfahren
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