Die unschuldige Geliebte
haben! dachte er bitter, während
er mit grimmiger Miene die quälend langsamen Fortschritte
verfolgte.
Falls
Suzy sterben sollte, wäre es seine Schuld. Er hätte sie
umgebracht, die Frau, die er liebte und die er vor allen anderen
hätte schützen sollen, auch wenn er damit gegen sein
Berufsethos verstieß. So empfand er für sie, und so würde
er immer für sie empfinden. Es war ihm unendlich schwer
gefallen, es sich einzugestehen.
Warum
hatte er nicht auf seine Gefühle gehört? Warum hatte er an
seiner Meinung über sie festgehalten?
Lucas
musste zugeben, dass er die Antwort darauf kannte. Er hatte Angst vor
der Wahrheit gehabt. Vor langer Zeit hatte er sich entschieden,
niemals zu heiraten. Er hatte miterlebt, wie zahlreiche Ehen seiner
Kameraden der Belastung nicht standgehalten hatten und auseinander
gegangen waren. Und er hatte geglaubt, er könnte verhindern,
dass er sich in eine Frau verliebte und den Rest des Lebens mit ihr
verbringen wollte. Bis Suzy in sein Leben getreten war.
Und
nun sollte er sie wieder verlieren?
Im
grellen Licht der Scheinwerfer wirkte sein Gesicht aschfahl. Gequält
betrachtete er die Stelle, an der Suzy liegen musste.
Suzy,
die in der kleinen Höhle gefangen war, hatte inzwischen
überhaupt kein Zeitgefühl mehr.
Sie
fühlte sich in ihre Kindheit zurückversetzt, versuchte,
ihre weinende Mutter zu trösten, indem sie ihr sagte, dass alles
gut werden würde. Allerdings war ihre Mutter nicht da, und sie
war diejenige, die weinte.
Bilder
tauchten vor ihrem geistigen Auge auf und verschwanden wieder,
genauso wie die Erinnerungen, die jetzt auf sie einstürmten.
Zusammengerollt lag sie da und durchlebte die glücklichsten
Momente ihres Lebens noch einmal. Und dachte an Lucas, so wie sie es
auch bei ihrem letzten Atemzug tun würde …
Die
Lippen grimmig zusammengepresst, stand Lucas vor dem Italiener, der
den Rettungseinsatz leitete.
"Es
ist mir egal, wie gut ausgebildet Ihre Männer sind",
erklärte er. "Ich gehe zuerst rein, und zwar jetzt."
Es
war fast Mitternacht. Durch das Aufzeichnungsgerät, das er unter
ihrer Uhr befestigt hatte, wussten sie, dass Suzy noch atmete und
einen Tunnel oder Schacht hinuntergefallen sein musste. Ebenso war
ihnen die Stelle bekannt, an der sie lag. Unter seinen Anweisungen
war es dem Rettungsteam gelungen, einen zweiten Tunnel zu graben.
"Es
ist immer noch zu gefährlich!" protestierte der
Einsatzleiter und versuchte, dabei autoritär zu klingen, was ihm
allerdings nicht gelang. "Es wird noch einige Stunden dauern,
bis wir jemanden hineinschicken können, der die junge Lady
zurückbringt."
"Ich
gehe jetzt rein", wiederholte Lucas in einem Tonfall, der keinen
Widerspruch duldete.
"Der
Tunnel ist noch einsturzgefährdet. Sie könnten beide
verschüttet werden", warnte der Italiener, doch Lucas hörte
nicht auf ihn. Er hatte bereits alles zusammen, was er eventuell
brauchte, etwas zu essen und zu trinken und einen Erste-Hilfe-Kasten.
Tatsächlich
war der neue Tunnel noch nicht gesichert. Die Decke musste abgestützt
werden, bevor sie Suzy hinausbringen konnten. Trotzdem konnte er zu
ihr gelangen, und genau das hatte er vor, egal, wie gefährlich
es sein mochte. Er musste zu ihr!
Vorsichtig
begann Lucas, durch den Tunnel zu kriechen. Er hatte so etwas schon
immer gehasst, doch momentan hätte er auch eine viel größere
Strecke auf diese Weise zurückgelegt, solange er zu Suzy
gelangte.
Der
helle Lichtkegel der Taschenlampe, die Lucas bei sich hatte, ließ
Suzy aus ihrem unruhigen Schlaf schrecken.
Verwirrt
und schockiert zugleich, dachte sie einen Moment lang, sie würde
halluzinieren. Dann sah sie allerdings Lucas zu ihr in die Höhle
kriechen.
"Lucas!"
Ihre Stimme bebte, und sie zitterte am ganzen Körper. "Lucas!
Wie …? Was …?"
Suzy
verstummte, als er sie an sich zog und festhielt – so, als
würde er sie nie wieder loslassen wollen, wie sie benommen
wahrnahm. Sie stieß einen Laut aus und wusste selbst nicht, ob
sie lachte oder weinte, als sie sich an ihn schmiegte.
"Es
ist so kalt hier drinnen und so dunkel. Ich dachte schon …"
Suzy verstummte, denn sie konnte ihm nicht sagen, dass sie Angst
davor gehabt hatte, hier sterben zu müssen. "Gehen wir
jetzt raus?" fragte sie und blickte dabei in Richtung Tunnel.
"Bald",
erwiderte Lucas. Nachdem er den engen Raum kurz inspiziert hatte,
schaltete er die Taschenlampe aus – teils um nicht unnötig
Energie zu verschwenden, und teils aus Rücksicht auf Suzy, damit
sie
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