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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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das Badezimmer, in dem noch Licht brannte.
    »In der Duschwanne und im Waschbecken ist genauso viel … Pass auf, wo du hintrittst!«
    »Mist!«
    Der Missionschef betrachtete seinen linken Schuh, der in einer klebrigen roten Lache stand.
    »Es ist noch nicht ganz getrocknet«, sagte der Arzt.
    Als er die Sohle aus der Pfütze herauszog, gab es ein Geräusch wie von einem abgelösten Saugnapf, und er hüpfte auf einem Bein vom Bett weg.
    »Und keine Spur von Megan?«, fuhr er fort, während er sich mit einem Taschentuch die Stirn abwischte.
    »Keine … Sie erschien nicht pünktlich zu ihrem Nachtdienst. Da wollte ich nachsehen, ob alles in Ordnung ist, und habe das Zimmer in diesem Zustand vorgefunden … «
    Der junge Arzt wandte sich ab und verließ den Raum. Er versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden, aber seine Hände zitterten zu sehr. Der Mond überstrahlte die Sterne. Ein heller Lichthof umgab das Gestirn. Die Menschen in dieser Gegend erzählten sich, es seien Phantome, die den Weg ins Jenseits suchten.
    Der Einsatzleiter stieß zu ihm.
    »Glaubst du, dass sie versucht hat, sich umzubringen?«
    »Dann hätten wir die Leiche gefunden.«
    Der Verantwortliche von MSF nahm ihm die Zigarette aus den Fingern, zündete sie an und gab sie ihm zurück. Er betrachtete die Einbäume, die in der Ferne dicht am Ufer entlangfuhren, und kratzte sich am Hinterkopf, sichtlich überfordert von der Wendung der Ereignisse.
    »Nicht unbedingt, vielleicht hat sie sich bis zum See geschleppt, um dort Schluss zu machen.«
    »Nein, sie war zwar mit den Nerven am Ende, aber deswegen gleich eine solche Dummheit zu begehen … «
    »Was dann?« Er breitete die Arme aus und drehte sich um sich selbst. »Wo ist sie?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Der junge Arzt wusste, dass die Worte, die er gleich aussprechen würde, die Schließung des Krankenhauses bedeuteten.
    »Aber wir müssen MSF Paris informieren und die Polizei verständigen, damit sie eine Suchaktion einleitet.«
    Schweigend sahen sie sich gegenseitig an, wussten, dass diese Entscheidung eine Kettenreaktion auslösen würde.

Unentschlossenheit
    »Besser Not als Tod, denken wir Menschenkinder.«
    Jean de La Fontaine, Der Tod und der Holzfäller

111
    Jacques legte auf, ohne ein Wort gesagt zu haben.
    Er saß an seinem Schreibtisch und bemerkte, dass seine Hand zitterte, dabei empfand er keine Erschütterung oder irgendwelche besonderen Gefühle. Er drehte seinen Bürostuhl und betrachtete das Lager von Damasak hinter dem Fenster. Er musste das Fenster nicht öffnen, um den Geruch von Gewürzen und auf Wellblech geschmortem Fleisch zu riechen. Schon in wenigen Stunden wäre das Wildfleisch unter der Junisonne verfault, würden sich die im Schlamm des Yobe River gefangenen wenigen Fische von selbst abschuppen, und ihr weißes Fleisch würde sich gelb verfärben. Und das Summen schwarzer Fliegen würde dem Vorrücken der Zeiger den Rhythmus vorgeben, Sekunde für Sekunde, wie wenn jemand an einem alten Transistorradio herumfummelte und ewig nach einer Frequenz suchte, die er niemals finden würde.
    »Jacques?«
    Die Stimme Benjamins riss ihn aus seinen Gedanken. Er fragte sich, wie lange er in dieser Position verharrt war und gelauscht hatte, wie das Leben draußen verging. Er atmete tief ein.
    »Ich habe schlechte Neuigkeiten«, sagte Jacques.

112
    »Wann ist das passiert?«
    »Am späten Abend.«
    Benjamin hatte das Gefühl, jemand habe ihm mit einem Knüppel einen Schlag auf den Solarplexus versetzt. Er wusste nicht mehr, wo ihm der Kopf stand, und er konnte die Informationen nicht mehr sinnvoll ordnen.
    » MSF Paris hat den Evakuierungsplan eingeleitet«, fuhr Jacques fort. »Sie fliegen das Personal des Krankenhauses aus.«
    »Und wer sucht nach Megan?«
    Jacques schlug die Augen nieder und schwieg. Benjamin sah ihn ratlos an; er wartete darauf, dass er antworten und ihm ein wenig Hoffnung schenken würde.
    »Sie glauben, dass sie tot ist, nicht wahr?«
    »Sie wissen es nicht. Aber das Blut, das sie in ihrem Zimmer gefunden haben, lässt das Schlimmste befürchten.«
    »Ich muss dorthin.«
    »Das wäre ziemlich unklug«, seufzte Jacques.
    »Und was würdest du machen, wenn es deine Frau wäre?! Würdest du nicht suchen?«
    »Nein, würde ich nicht.«
    Benjamin ballte die Faust. Er spürte, wie sein Leben ins Wanken geriet. Er hätte es nicht erklären können, aber er spürte ganz deutlich, dass etwas in ihm geborsten war.
    Jacques stand auf, ging um seinen Schreibtisch herum

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