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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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hörte nur noch das Flattern ihres Herzens. Sie klammerte sich derart fest ans Lenkrad, dass sie ihre Finger nicht mehr spürte. Sie sah, wie sich Henry Okah im hohen Gras hinkniete und wie Umaru Atocha die Pumpgun mit dem Fuß wegschubste. Er sah den Mann vor sich an und, jenseits dieses Mannes, die Natur und die Nacht.
    Er fühlte sich einsam und niedergeschlagen, wie jedes Mal, wenn eine Seite seiner Lebensgeschichte umgeblättert wurde.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass es so einfach wäre, Henry … «
    Okah hielt den Kopf in einer herausfordernden Haltung erhoben. Der Albino bemerkte, dass Blut seinen Schenkel rot färbte.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass du dich kampflos ergibst«, fuhr er fort.
    »Kämpfen?«, sagte Okah lächelnd. »Wenn ich eine Chance – die kleinste Chance – hätte, würde ich sie ergreifen, das kannst du mir glauben.« Er sah zu den Männern von Umaru, die auf den Bänken der Pick-ups standen. »Aber in manchen Situationen muss man den Tatsachen ins Auge sehen … Wenn ich versucht hätte zu fliehen, hätten mich deine Männer abgeknallt. Wenn ich das Feuer erwidert hätte, hätte ich vielleicht ein paar umgelegt, vielleicht wäre es mir sogar gelungen, dich umzubringen.« Sein Lächeln wurde breiter. »Aber ich wäre trotzdem tot. Wozu also?«
    »Du hast recht«, sagte Umaru, als er die Mündung seiner Waffe zwischen die Augen Okahs setzte.
    »Ich habe dich unterschätzt«, räumte Okah ein. »Eine letzte Frage: Was hat dir die Regierung als Gegenleistung für Naïs versprochen?«
    Umaru wandte sich zu den Fahrzeugen um, und Okah folgte seinem Blick. Er glaubte, hinter einer Scheibe ein kleines Gesicht zu erkennen, das aus dem Halbdunkel herausragte und draußen die Nachtfalter beobachtete, die an den Scheinwerfern klebten.
    »Man hat mir eine neue Identität versprochen und die Möglichkeit, dieses verdammte Land zu verlassen.«
    »Und warum hast du’s dir dann anders überlegt?«
    »Weil ich zu viel weiß. Mir wurde klar, dass sie mich niemals gehen lassen würden. Dass sie niemals das Risiko eingehen würden, mich abtauchen zu lassen. Sie werden mich beseitigen. Und bei dir ist es genau das Gleiche.«
    »Also wirst du ihnen Naïs nicht geben … «
    »Nein. Ich habe andere Pläne. Und dazu gehört auch, mir eine Zukunft zu sichern … «
    Henry Okah zog den stechenden Geruch ein, der typischerweise die Morgenröte ankündigte. Es war, als hätten sich alle Duftnoten der Savanne beim Herannahen der ersten Sonnenstrahlen plötzlich intensiviert. Er fixierte die blitzende Waffe.
    »Sie werden dir auf den Fersen bleiben, wo immer du bist«, murmelte er. »Du wirst ein Phantom sein, genauso wie ich.«
    »Ich weiß. Aber du wirst mir helfen. Dafür lass ich dich laufen.«

117
    »Was soll ich tun?«
    »Die Wahrheit sagen. Die ganze Wahrheit.«
    Henry Okah blickte zu dem Albino mit dem Monstergesicht auf. Er sah kalte Entschlossenheit in seinem Blick und, dahinter, einen Schmerz, den er seit seiner Kindheit in sich zu tragen schien.
    »Was soll das heißen?«
    »Ich will, dass du der Presse alles erzählst«, sagte Umaru Atocha. »Dass du die Geschichte in all ihren Einzelheiten enthüllst. Ich will, dass du eine Feuersbrunst entfachst, der die Regierung nicht mehr Herr wird.«
    Okah bemerkte ein leichtes Lächeln auf den Lippen von Umaru Atocha, ein Lächeln, das ihm unangenehm war, wie wenn er eine unbekannte Facette seiner Persönlichkeit sehen würde.
    »Aber du wirst nur über die MEND reden, nicht über Naïs.«
    »Wenn ich das tue, werden mich die Spezialkräfte beseitigen. Ich werde für den Rest meiner Tage auf der Flucht sein … «
    »Du hast mir gesagt, dass du jede Chance nutzen wirst, um deinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Wenn du vor die Wahl gestellt wirst, entweder hier und jetzt zu sterben oder wenigstens eine kleine Chance zu haben, mit dem Leben davonzukommen, dann zögerst du wirklich?«
    Sie schwiegen, und die Nacht umschloss sie noch enger. Um sie herum war die Zeit zum Stillstand gekommen. Die Söldner, die zu Salzsäulen erstarrt waren, lehnten sich mit auf den Boden gerichteten Waffen an die Pick-ups; abgesehen von dem Wind, der ihre T-Shirts flattern ließ, bewegte sich im Umkreis von Kilometern nichts. Die junge Frau hinter der Windschutzscheibe war ebenfalls erstarrt.
    »Was bringt dir das?«, fragte Okah.
    »Das bringt mir eine Ablenkung und folglich Zeit«, sagte Umaru nachdenklich.
    »Du solltest das Galgenfrist nennen. Solange du ihnen Naïs nicht

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