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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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Kopf als Gegenleistung für Naïs, das waren die echten Vertragsbedingungen. Er betrachtete die Männer, die sich um ihn versammelt hatten, und sah die Angst in ihren Gesichtern. Mit fester Stimme sagte er: »Da wir unseren Auftraggebern nicht länger vertrauen können, ist es Zeit für einen Strategiewechsel.«

Die Unseligen
    »Das Näherrücken des Todes flößt uns furchtbare Angst ein,
aber wenn sich das Neugeborene dem Näherrücken des Lebens
bewusst sein könnte, hätte es ebenfalls entsetzliche Angst.«
    Charlie Chaplin, Die Geschichte meines Lebens

45
    »Sonst irgendetwas anzumelden?«
    »Nein.«
    »Keine Waffen? Keine Drogen? Kein Alkohol?«
    »Nein«, antwortete der Fahrer.
    Der Soldat, der sich mit den Ellbogen in den Fensterrahmen des Geländewagens stützte, stellte Routinefragen und sah nicht von den Reisepässen auf, die er in Händen hielt. Die Hitze und das tiefe Desinteresse, das er seiner Arbeit entgegenbrachte, schienen ihn dermaßen zu strapazieren, dass das bloße Durchblättern der Fahrzeugpapiere und der Personalausweise seine ganze Energie benötigte.
    »Amerikanerin?«, sagte er, an die Mitfahrerin gewandt, die auf dem Rücksitz saß.
    Er starrte Megan mit ungekünstelter Neugierde an, und plötzlich wurde sein Gesicht von einem breiten Lächeln erhellt.
    »Woher kommst du? Las Vegas? Las Vegas ist schön, oder?«
    »Ich komme aus Chicago.«
    »Ah, Al Capone, Big Jim Colosimo! Ta-ta-ta-ta-ta!«, stieß er hervor, eine Maschinengewehrsalve nachahmend. »Ich weiß alles über dein Land! Der Rap, die Burger, Hollywood! Warte, warte … «
    Unbeeindruckt von dem riesigen Stau, der sich vor dem Checkpoint bildete, drehte er sich um und ging mit hastigen Schritten ins Wachhäuschen. Sein Kollege schlief den Schlaf der Gerechten; er saß sicher auf seinem Stuhl, hatte die Beine auf den Schreibtisch gelegt, eine nicht gerauchte Zigarette hing schlaff zwischen seinen Lippen. Der junge Soldat kam mit einem stark zerknitterten alten Magazin zurück, das vom vielen Herumreichen ganz abgegriffen war.
    »Die Amerikanerinnen sind die schönsten Frauen der Welt!«, sagte er, während er das Magazin in der Mitte aufschlug, wo das als Weihnachtsmann verkleidete Playmate von Dezember 1996 aufreizend in die Kamera blickte.
    Er betrachtete Megan, dann Miss Dezember, dann wieder Megan, als wollte er beide miteinander vergleichen oder seine Theorie über die angeborene Schönheit der Amerikanerinnen überprüfen. Aber ebenso schnell, wie die Aufregung ihn erfasst hatte, verschwand sie auch wieder. Er tupfte sich mit dem Magazin die Stirn ab und lehnte sich erneut mit den Ellbogen in den Fensterrahmen, ohne dem Fahrer die geringste Beachtung zu schenken.
    »Warum willst du dich hier niederlassen, wenn du doch alles hast?«
    »Ich bin Krankenschwester … «, antwortete sie.
    Seit zwei Tagen hatte sie kein Auge zugetan. Auf den Pisten war sie durchgerüttelt und hin und her geschleudert worden, der Jetlag und der Kulturschock, der sie gleich bei der Ankunft mit voller Wucht getroffen hatte, hatten ihr schwer zugesetzt.
    »Aber wen willst du hier behandeln? Hier gibt’s nichts zu retten«, sagte er, während er den Blick über den Drahtzaun gleiten ließ, der das Lager von Damasak umgab. »Das alles ist Abschaum … Da gibt es nicht einen, der es verdient, am Leben zu bleiben.«
    Der Soldat überreichte ihnen ihre Ausweise und schlug mit der flachen Hand auf die Motorhaube, um ihnen zu bedeuten, dass sie weiterfahren konnten.
    »Du solltest in deine Heimat zurückkehren und vergessen, was in diesem Land geschieht … «, sagte er und trat vom Wagen zurück.
    Megan musste ihre Scheibe hochkurbeln, denn der von der Menschenmenge und den Sattelschleppern aufgewirbelte Staub raubte einem den Atem. Der Geländewagen fuhr im Schritttempo, umbrandet von einer Woge aus Frauen und Kindern, von denen man in dem orangefarbenen Dunst nur die Silhouetten sah. Der Sand knirschte, peitschte die Windschutzscheibe, und Schreie, Ausrufe erschallten von allen Seiten. Halbwüchsige umringten den Wagen und schlugen, die Krankenschwester und den Fahrer anschreiend, gegen die Türen; sie rissen an den Griffen, steckten ihre Finger durch die einen Spaltbreit offenen Fenster und bettelten um Münzen oder etwas zu essen.
    Megan kauerte sich auf ihrem Sitz zusammen und versuchte, die Ratschläge zu beherzigen, die ihr der Fahrer gegeben hatte, bevor sie aufgebrochen waren. Der Radau dauerte etwa fünfzehn Minuten – so lange brauchten

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