Die Unseligen: Thriller (German Edition)
sie, um die Hauptstraße des Lagers hinter sich zu bringen – , dann wurde er von einem Brummen abgelöst, das von einem Prasseln von Kieselsteinen untermalt wurde, die gegen Stahl und Glas geschleudert wurden.
»Wissen Sie«, sagte der Fahrer, während er die junge Frau im Rückspiegel betrachtete, »dieser Soldat, er hat nicht ganz unrecht … Es gibt hier nicht viel zu retten.«
46
Vor dem Eingang zu seinem Zimmer blinzelte Benjamin Dufrais, geblendet vom Licht. Er steckte sich eine Zigarette an und sah den Spurrillen nach, die die Versorgungskonvois hinterlassen hatten. Aufgestapelte Reifen nährten ein Feuer, das durch die Hitze unsichtbar geworden war. Er ging zwischen Familien hindurch, die zu beiden Seiten der Straße Risse in Zelten mit Nylonsäcken und Verpackungskartons abdichteten.
»Bass! Bass!«
Georges Ikki wirbelte die Arme herum, um die Aufmerksamkeit von Benjamin auf sich zu ziehen. Neben einem Defender kniend, wickelte er Draht um einen Auspuff, um diesen notdürftig zu befestigen.
Georges war etwa zwanzig Jahre alt, hatte aber noch immer das Gesicht eines pausbäckigen Babys, das von den Qualen der Pubertät nichts ahnte. Er litt an einer leichten geistigen Behinderung, die sich in plötzlichen Angstanfällen und einem unbezwingbaren Drang, sich bis zur Erschöpfung zu verausgaben, äußerte. Er hatte den Arzt in sein Herz geschlossen, seit dieser ihn wegen einer bösen Infektion behandelt hatte. Er hatte sich dem Team von MSF angeschlossen, und auch wenn er keine drei Zahlen addieren konnte, so vollbrachte er mit seinem handwerklichen Geschick doch wahre Wunder.
»Ist das der Geländewagen von Pater David?«, fragte Benjamin.
»Ja, er wollte, dass ich einen kurzen Blick darauf werfe, ehe er losfährt.«
Georges trat gegen die Karosserie des Geländewagens, um sich davon zu überzeugen, dass seine Reparatur den Erschütterungen standhielt. Der Priester grüßte die Frauen und die Kinder, die sich um ihn drängten. Benjamin bemerkte, einige Meter abseits der Gruppe, einen Mann und glaubte, ein Phantom zu sehen. Er beugte den Kopf etwas vor, aber der Mann entfernte sich bereits zwischen den Zelten.
Seit der Geiselnahme ertappte sich Benjamin hin und wieder dabei, Unbekannte mit ehemaligen Mitgliedern der MEND zu verwechseln. Yaru Aduasanbi hier in Damasak zu sehen, gehörte zweifellos zu dem, was der Psychologe des Lagers posttraumatische Visionen nannte. Er lächelte den Priester an, der eine große Reisetasche hinter sich herzog.
»Sie reisen ab?«
»Ich kehre zur Missionsstation in Baganako zurück«, antwortete Pater David. »Im Norden ist es erneut zu Spannungen zwischen Christen und Muslimen gekommen. Ich muss einigen verirrten Seelen beistehen.«
Georges nahm die Tasche und legte sie in den Kofferraum des Geländewagens.
»Fahren Sie allein?«, erkundigte sich Benjamin. »Ein wenig riskant, oder?«
»Ich vertraue auf Gott«, sagte der Priester lächelnd.
Benjamin erwiderte das Lächeln. Von allen Geistlichen, denen er begegnet war, war Pater David einer der wenigen, mit denen er sich wohlfühlte. Die Heftigkeit des Priesters, sein Zorn angesichts von Ungerechtigkeiten, war ihre erste Gemeinsamkeit gewesen. Fast bedauerte er dessen Abreise, und er fragte sich, ob sie sich eines Tages wiedersehen würden, um sich miteinander zu unterhalten und in ihren Diskussionen die Welt zu erneuern, wie sie es schon oft getan hatten.
»Machen Sie es gut.«
»Ich werde mein Bestes tun.«
Die beiden Männer reichten sich die Hand. Georges wechselte einige Worte mit Pater David und gesellte sich zu Benjamin.
»Ich wusste nicht, dass du ihn so gut kennst«, sagte der Arzt und sah dem Priester nach, als dieser ins Auto stieg.
»Pater David? Wir kennen uns schon sehr lange, er und ich. Er hat mich großgezogen, als ich im Waisenhaus war.« Der junge Mann kratzte sich am Kopf.
»Hast du mal ’ne Kippe?«
Benjamin hielt ihm seine Schachtel hin.
»Verdammt, ist das gut«, pfiff Georges, der ihm auf dem Fuß folgte.
»Und die Kanalisation, wie steht’s damit?«
»Der Haupttank hat einen Riss. Ich hab ihn geflickt, so gut ich konnte. Aber hier machen sich alle aus dem Staub, das weißt du doch.«
In der Nähe der Wasserstelle kam es zu Rangeleien zwischen Jugendlichen, die im Schlamm um die Wasserhähne herumwateten und sich gegenseitig anrempelten, um ihre Kanister, Flaschen und Töpfe zu füllen. Die Jüngsten versuchten, etwas von dem brackigen Wasser in den Pfützen, die sich unter
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