Die Unseligen: Thriller (German Edition)
ausweichend.
»Dein Vater … «
»Ja, er ist letztes Jahr verschwunden. Deshalb frage ich meine Kunden, ob sie ihn nicht gesehen haben.«
Kesiah wollte lächeln, aber etwas am Verhalten Billys erschreckte sie. Sie wusste nicht, ob die Tatsache, dass er plötzlich so still war, ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.
»Dein Vater«, wiederholte er. »Das ist seltsam.«
»Was ist seltsam?«, fragte das Mädchen beunruhigt.
»Und wer ist dieses Kind?«
»Das bin ich, als ich klein war.«
Billy stand schwerfällig auf und kauerte sich bei seinen Kleidern nieder.
»Was machst du? Hast du keine Lust mehr?«
Er antwortete nicht, er war damit beschäftigt, die Taschen seiner Jogginghose zu durchstöbern. Als er sich ihr wieder zuwandte, riss Kesiah die Augen weit auf und atmete schneller. Das Licht der Laterne draußen sickerte durch die Spalten zwischen den Brettern der Tür. Die schmalen Lichtstreifen hüllten Billy in ein ockerfarbenes Licht und spiegelten sich auf der Klinge des Messers.
»Was machst du … ?«
»Der Mann auf diesem Foto heißt Yaru Aduasanbi. Das Mädchen, das er auf dem Arm hat, heißt Naïs.« Er sprach langsam, als wendete er sich an ein Kind, das er gleich bestrafen würde. »Und nenn es Pech oder Schicksal, aber diese beiden Personen sind genau diejenigen, die ich suche.« Er streichelte ihr Geschlecht und lächelte. »Wir werden also tun, was wir beide miteinander zu tun haben, dann wirst du mir erklären, wieso du dieses Foto hast und wer es dir gegeben hat.«
43
»Hallo.«
Umaru richtete sich auf, die Hand auf dem Griff seiner Waffe, und sah den Mann an, der einige Meter von ihm entfernt stand. Er war um die dreißig, und Dreadlocks fielen ihm auf die Schulter. An einem straffen Lederband hielt er eine junge Tüpfelhyäne. Das Tier zog ihn Richtung Wasser, aber mit einem unvermittelten Schlag auf die Schnauze zwang er es dazu, sich hinzulegen. Umaru hatte den Finger am Abzug seiner Automatik, bereit, die Hyäne und ihren Herrn zu erschießen, falls sie noch näher kommen sollten.
»Hallo«, sagte der Mann noch einmal.
Der Mann, der das Schweigen des Albinos als eine Einladung interpretierte, setzte sich auf den Sand. Umaru hatte von einer Gang in Abuja gehört, die Hyänen gezähmt hatte, um sich in ihrem Revier zu behaupten. Offenbar hatten sich andere ein Beispiel daran genommen. Das Tier streckte sich neben seinem Herrn aus und legte den Kopf auf die Pfoten.
»Willst du kein Mädchen?«
»Heute Abend nicht.«
Der Zuhälter zuckte mit den Schultern und fischte aus seiner Zigarettenschachtel einen Joint heraus. In der Flamme seines Feuerzeugs sah Umaru die rituellen Male unter seinen Backenknochen und eine stümperhafte Tätowierung auf seiner linken Wange.
»Du und deine Männer, woher kommt ihr?«
»Aus dem Niger«, antwortete Umaru.
»Gehört ihr zu der Gruppe von Flüchtlingen, die vor Kurzem eingetroffen sind?«
»Nicht wirklich.«
Der Geruch des Marihuanas kitzelte die Schnauze der Hyäne, und sie spitzte die Ohren. Umaru fragte sich, ob man ein solches Tier wirklich zähmen konnte und, wenn ja, was geschähe, wenn sein Herr ihm befehlen würde, anzugreifen.
»Und warum seid ihr hier?«, fragte der Mann, ehe er die Glut seines Joints anblies.
»Geschäftlich.«
»Es gibt hier schon etliche Leute, die Geschäfte machen. Ich kann Kontakte herstellen, wenn du willst. Was ist deine Branche? Nahrungsmittelhilfe? Drogen?«
Umaru antwortete nicht. Das Geschwätz dieses Unbekannten ermüdete ihn. Aduasanbi und Naïs waren ihm im Niger entwischt, sodass er die Grenze von Neuem hatte überqueren müssen und ihren Spuren bis hierher, nach Damasak, gefolgt war. Die Reise und die Enttäuschung hatten ihn und seine Männer erschöpft.
»Also, was für Geschäfte machst du?«, hakte der Zuhälter nach.
»Wir suchen jemanden.«
»Seid ihr Söldner?«
»Wie kommen Sie darauf?«
Der Mann blickte auf die Waffe, die Umaru nicht losgelassen hatte. Der Albino nickte schweigend.
Ein Söldner und ein Gespenst. Das war er geworden, dachte er bitter. Er rief sich jene Jahre in Erinnerung, die er an der Seite der Guerilleros der MEND im Dschungel verbracht hatte, und er musste sich eingestehen, dass sein Leben damals noch einen Sinn gehabt hatte. Die Zeit verzerrte seine Erinnerungen, aber er war sich sicher, geglaubt zu haben, dieses Land, vielleicht sogar die Welt, verändern zu können.
Als ihn die Polizei verhaftet hatte, hatte er gewusst, in dem Moment, in dem ihm die
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