Die Unseligen: Thriller (German Edition)
einem Leck in einem der Rohre bildeten, aufzufangen. Benjamin betrachtete den Menschenauflauf.
»Glaubst du, dass es genug Wasser für alle gibt?«
»Bei dieser Hitze lässt sich das schwer vorhersagen. Der Yobe River ist praktisch ausgetrocknet.«
»Machst du Witze? Heute ist der erste Juni!«
»Sobald die Leute hier anfangen zu verdursten, werden diese Mistkerle für den kleinsten Tropfen Geld verlangen«, sagte Georges und deutete mit dem Kinn auf etwa ein Dutzend Schwarze in paramilitärischen Hosen und Trikots der brasilianischen Fußballnationalmannschaft.
Diese von der Grenze zu Benin stammende Gruppe von Flüchtlingen hatte sich ethnische Zusammenstöße zwischen den Gemeinschaften der Ibo und Yoruba zunutze gemacht, um sich zur Bürgermiliz zu erklären. Das Fehlen einer effizienten staatlichen Ordnungsgewalt auf dem Gelände des Lagers und die Unterstützung der nigerianischen Polizei, die mit der Situation überfordert war, hatten ihr kleines Manöver ermöglicht. Tatsächlich benutzte der Clan diese neue Legitimation, um seine Machtstellung zu festigen und verschiedene Schmugglerringe unter seine Kontrolle zu bringen.
Benjamin zögerte und näherte sich dem Ohr von Georges.
»Ich möchte dich um einen kleinen Gefallen bitten … « Er sah sich um. »Mir geht bald der Kraftstoff aus«, sagte er, während er an der Kokainphiole in seiner Tasche herumfummelte. »Könntest du was für mich auftreiben?«
»Im Ernst, Doc, du pfeifst dir zu viel davon rein und … «
»Kümmere dich nicht um meine Gesundheit«, unterbrach ihn Benjamin mit leiser Stimme. »Zehn Gramm. Ist das machbar?«
Georges nickte und ließ ihn ohne ein weiteres Wort vor dem Logistikbüro von MSF stehen.
47
Beim Verlassen des Fahrzeugs bemerkte Megan, dass sie zitterte, und die Hitze hüllte sie augenblicklich in einen Feuerumhang. Sie taumelte, ganz benommen von den Sonnenpfeilen, die auf sie niederstießen.
»Sie sollten nicht da stehen bleiben, das ist gefährlich.«
Sie zuckte zusammen und wandte sich zu dem Mann um, der sie angesprochen hatte.
»Ich sage: Sie sollten nicht da stehen bleiben, diese verdammte Bullenhitze hat schon robustere Naturen als Sie umgehauen«, bemerkte der Mann mit einem Lächeln. Er hielt ihr die Eingangstür zu den Räumlichkeiten von Médecins Sans Frontières auf und schien darauf zu warten, dass sie sich entschloss einzutreten.
»Ich heiße Megan Clifford«, sagte sie, während sie ihm die Hand gab. »Ich bin Krankenschwester. MSF Paris schickt mich.«
»Benjamin Dufrais«, antwortete er und drückte ihr behutsam die Hand. »Ich leite die Notaufnahme. Was in dieser Gegend nicht viel bedeutet, wie Sie sehen werden … «
»Doktor Benjamin Dufrais?«, wiederholte sie und starrte ihn an.
»Ja, warum?«, fragte er, unvermittelt in der Defensive.
»Ich habe mich gefragt, ob Sie derselbe Benjamin Dufrais sind, der über die Epidemiologie in Kriegszeiten publiziert hat … «
Seine Gesichtszüge verhärteten sich unmerklich; seine verschiedenfarbigen Augen wichen ihr aus.
»Nein«, unterbrach er sie, »Sie müssen mich verwechseln.« Er trat zur Seite, um sie hereinzulassen. »Ich denke, Sie sollen Jacques aufsuchen? Sie finden ihn in seinem Büro …«
»Danke«, sagte sie und sah ihm nach, als er sich entfernte.
Sie verjagte den seltsamen Eindruck, den er auf sie gemacht hatte, und folgte dem Fahrer, der ihr mit ihren Taschen vorausging, ins Büro des Leiters der MSF -Mission.
48
Benjamin ging an der Menschenschlange vor dem Eingang der Krankenstation entlang und bahnte sich einen Weg durch das Gedränge. Frauen mit Säuglingen auf dem Arm, die sich dicht zusammendrängten und auf dem gestampften Lehmboden von einem Bein aufs andere traten. Nicht das kleinste Lüftchen verschaffte dem Strom der Patienten, die sich impfen lassen wollten, Erleichterung. Es verschlug ihm den Atem, als er den langen Raum betrat, der vom medizinischen Personal belegt wurde.
Zu Beginn der Woche hatten die örtlichen Behörden zwei verdächtige Todesfälle in einem nigerianischen Dorf weiter im Norden gemeldet. Die Angst vor einer Masernepidemie hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet.
Benjamin deutete mit dem Kopf auf einen jungen Mann, der auf einem Stuhl schlief und sich in seinen Kittel gewickelt hatte.
»Wer ist das?«
»Junior? Unser neuer Assistenzarzt, frisch von der Universität Nanterre. Du wirst ihn vergöttern«, sagte eine Krankenschwester mit einem Hauch von Ironie.
Benjamin erblickte die mit
Weitere Kostenlose Bücher