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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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zitterte.
    Im Morgengrauen enthüllten sich alle Details, und die Hässlichkeit der Häuser, in denen die Bourgeoisie von Abuja wohnte, wurde sichtbar. Dieser Cluster glich einer Karikatur, einem Vorzeigedorf für mittlere Führungskräfte mit perfekt gepflegten, einheitlich grünen Rasenflächen, Familienautos, die vor den Eingangstüren parkten, und Schaukeln aus hellem Holz in der Nähe der Zäune.
    »Bist du dir sicher, dass sie noch hier wohnt?«, fragte Okah.
    Der Anwalt atmete die trockene Luft ein, die nach frisch geschnittenem Gras und nach vom Tau feuchter Wäsche roch.
    »Die Adresse wird in der Akte erwähnt … «
    Ein weißes Laken, farbige ärmellose T-Shirts und eine Latzhose, die an einer Wäscheleine hingen, verbargen die Ecke des Hauses, vor dem sie parkten. Hinter den Fliegengittern im Erdgeschoss warf ein blassrosa Licht ein Schattenspiel von Tieren und Sternen auf die Tapete, und von der Straße aus gesehen hatte dieses traumartige Bestiarium etwas Friedliches und Melancholisches.
    »Von dieser Frau wirst du nichts erfahren, Henry … «
    »Lass das meine Sorge sein.«
    »Die Polizei überwacht sie rund um die Uhr. Sie haben ihr ganzes Arsenal aufgefahren: eine telefonische Überwachung, die sich auf die gesamte Nachbarschaft erstreckt, Peilsender am Auto und sogar in den Lenkern der Fahrräder der Kinder. Das Gleiche bei den E-Mails, sie haben sämtliche Rechner im Umkreis von zehn Kilometern mit Spionageprogrammen infiziert.«
    »Aduasanbi hat niemals aufgehört, an sie zu denken. Er wird gejagt, und ein Mensch, der gejagt wird, braucht seine Familie, um nicht verrückt zu werden.«
    »Aber wie hätte er Kontakt zu ihnen aufnehmen sollen, ohne dass die Polizei dies mitbekommt?«
    »Genau das werde ich seine Frau fragen.«
    Der Anwalt lächelte gerührt, als er den Schattenriss eines Kometen sah, und seine Augen verschleierten sich.
    »Wirst du sie foltern?«, fragte er leise. »Sie und die Kinder?«
    »Wenn es sein muss.«
    Das Gesicht des Anwalts war grau, er holte Luft und biss sich auf die Lippen. Seine Augen hefteten sich auf den Kometen, zweifellos in der Hoffnung, er würde ihn aus diesem Wagen mit sich forttragen.
    »Es … es tut mir leid, Henry, aber ich kann nicht. Ich habe nicht die Kraft, mir so was anzusehen … «
    »Das verlange ich auch nicht von dir.«
    Als Okah das Schlafzimmer betrat, schien es ihm, als ginge er in das Zimmer eines jener Motels hinein, wie man sie in der Nähe des Flughafens von Lagos findet; in das Zimmer eines Menschen, der nur eine Nacht hier verbringt. Mit Ausnahme der Familienfotos auf einer Kommode war die Einrichtung kalt und unpersönlich, die Möbel waren funktional und zusammengewürfelt. Die hellblaue Tapete war seit Jahren nicht erneuert worden und ihr Farbton uneinheitlich – dort, wo das goldene Sonnenlicht an den Wänden leckte, war sie grün, dort, wo sich die Schatten hielten, war sie blasslila. Der ebenfalls stark abgenutzte weiße Teppichboden hatte die Geräusche seiner Schritte gedämpft, als er die Tür des begehbaren Kleiderschranks geöffnet hatte, ehe er zum Bett zurückgeschlichen war.
    Dieses Zimmer bestätigte den Gesamteindruck, der sich ihm aufgedrängt hatte, als er über die Schwelle getreten war. Diese Familie schien bereit zu sein, jeden Moment aufzubrechen, aber dieser Moment würde niemals kommen. Hofften sie, Aduasanbi würde sie auffordern, sich ihnen anzuschließen? Fürchteten sie, die Regierung würde sie ausweisen oder eines Tages würden Männer wie er auftauchen?
    Alles war hier darauf vorbereitet, auf den kleinsten Wink hin die Zelte abzubrechen. Die Gegenstände schienen keine Geschichte zu haben, und das Haus selbst hatte keine Seele. Bis auf die Spielsachen, die überall im Wohnzimmer verstreut lagen, und das Geschirr, das im Spülbecken der Küche badete, hätte man glauben können, dass die Familie diese Zimmer illegal besetzte. Die Koffer – wie vorbereitet zur Flucht – in einer Ecke.
    In dem Flur, der zu den Schlafzimmern führte, hatte ihn vor allem die völlige Geruchlosigkeit verblüfft. Jede Wohnung, jedes Haus besitzt einen typischen Geruch, der alles bis auf die Mauern durchdringt. Die Bewohner nehmen ihn gar nicht mehr wahr, aber einem Fremden fällt dieser Geruch auf, sobald er den Fuß über die Schwelle der Eingangstür setzt. Dieses Haus war ein einziges Geruchsvakuum. Die Luft, die in diesen Zimmern zirkulierte, roch weder nach kleinen Kindern noch nach Reinigungsmitteln. Als beherberge

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