Die Unseligen: Thriller (German Edition)
dieses Haus Phantome. Stumm stand Okah vor dem Ehebett und zog seine Waffe.
Im Schlaf strahlte die Ehefrau Yaru Aduasanbis eine verlorene Glückseligkeit aus – zweifellos die Erinnerung an eine längst vergangene Zeit, in der ein Mann ihre Nächte geteilt hatte.
Sie war schöner, als Okah sie sich vorgestellt hatte. Sie mochte deutlich über vierzig sein, aber die Anmut ihrer Gesichtszüge war erhalten geblieben und durch ihren Kummer vielleicht sogar noch gesteigert worden. Ja, sehr viel schöner, dachte er, als er behutsam das Laken zurückzog, das sie bedeckte.
Als er ihren nackten Körper erblickte, ihre perfekt gerundeten Brüste, die sich im Rhythmus ihrer Atmung hoben und senkten, war er überrascht. Er kniete sich neben dem Bett nieder und betrachtete sie. Als sie seinen Atem spürte, runzelte sie die Stirn. Ihre Lippen öffneten sich einen Spaltbreit, und ein leises Wimmern entwand sich ihnen.
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Kaum dass Okah der Gedanke durch den Kopf schoss, diese Frau sei ein echtes Rasseweib, sprang sie auch schon aus dem Bett. Er packte sie am Handgelenk und zog sie fest zu sich. Ihr Duft, die warme Geschmeidigkeit ihrer Haut, alles an ihr machte ihn schwindlig.
»Meine Kinder … «, flehte sie.
»Ihnen geht es gut.«
Er ließ sie los und stieß sie heftig auf die Matratze zurück. Sie starrte ihn mit kalter Wut an.
»Was wollen Sie?«
»Ein paar Fragen stellen. Da, bedecken Sie sich«, sagte er und warf ihr das Laken hin.
»Ich will meine Kinder sehen.«
»Eine legitime Bitte, die ich Ihnen jedoch abschlagen muss. Bitte bedecken Sie sich.«
Sie schlang das Laken langsam um sich, wobei sie vor Trotz und Wut bebte, und sie schwiegen eine ganze Weile, denn beide zögerten, die Feindseligkeiten zu beginnen, als würden sie das Drehbuch der Szene schon kennen und nach seinen Schwachstellen suchen.
»General Okah … «, fing sie an.
Er deutete ein müdes Lächeln an und flüsterte zu sich selbst: »Sie wissen, wer ich bin … «
»Warum sind Sie hier? Sind Sie geflohen?«
»Meine Freilassung wurde ausgehandelt.«
Sie lächelte ihn hämisch an.
»Sie sind ein Verräter.«
»Ich bin vieles, wissen Sie … «, seufzte er.
Er durchquerte das Zimmer und warf einen Blick durchs Fenster, wobei er das weiße Funkeln der Sonne in der Scheibe mit der Hand verdeckte.
Die Schreie hatten die Nachbarschaft nicht alarmiert. Die Straße blieb ruhig, wie ausgestorben. Der Wind bewegte die Wäsche im Garten und enthüllte die schwarze Silhouette des Geländewagens neben dem Gehsteig.
»Und wie nennen Sie den Mann, der Sie sitzen gelassen hat?«, fuhr er fort.
Sie lächelte verächtlich.
»Ich bin seine Frau, nicht sein Gewissen. Und ich respektiere die Entscheidung meines Mannes. Wenn er die Welt verändern will, warum sollte ich ihn davon abhalten?«
»Und warum helfen Sie ihm dann nicht bei diesem Vorhaben?«, sagte er und kehrte zu ihr zurück.
»Das habe ich getan. Ganz am Anfang, als er unter seinen Studenten Männer anwarb. Ich habe seine ersten Pamphlete gelesen und korrigiert, ich habe ihn unterstützt, als das Innenministerium ihn zu drangsalieren begann. Ich war da.«
»Aber?«
»Aber ich war nicht bereit, im Untergrund zu leben oder zu den Waffen zu greifen. Das war meine Grenze.«
»Es gibt keine Revolution ohne Blutvergießen.«
Sie lächelte und zog das Laken bis zum Kinn hoch.
»Das hat Yaru auch immer gesagt.«
Okah beobachtete sie aufmerksam. Diese Frau überraschte ihn. Sie zeigte keinerlei Anzeichen von Angst. Weder ihre Hände noch ihre Stimme zitterten. Ihre Augen waren weiterhin starr auf die Wand gegenüber gerichtet, aber dieser Blick war so statisch, dass er nicht natürlich sein konnte, als zwinge sie sich dazu, nicht nach rechts, zu der Zwischenwand zu blicken, die sie von ihren Kindern trennte. Okah spürte, dass sie vor ihm nicht nachgeben würde; dafür war ihre innere Kraft zu groß.
»Aber ich kann nicht nachvollziehen, wie man einen Menschen töten kann«, fügte sie hinzu.
»Nicht einmal aus Liebe?«
»Aus Liebe, aus Rache, für eine Idee – was ändert das schon?«
Okah starrte sie an. Sie wirkte aufrichtig, kategorisch in ihren Überzeugungen, und er dachte ein weiteres Mal, dass Aduasanbi Glück gehabt hatte, eine solche Frau für sich gewinnen zu können.
»Wenn ich Ihre Kinder umbringe, werden Sie also nicht ihm und mir den Tod wünschen?«
Die Frage lastete auf ihnen, die Worte entfalteten in der stickigen Atmosphäre des Zimmers ihre ganze Kraft. Okah sah
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