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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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ihre Sache zu kämpfen. Seit den Anfängen der Revolution war ihnen das Engagement von Aduasanbi suspekt erschienen – und dies trotz seiner Opfer und der täglichen Beweise seiner Loyalität.
    Umaru erinnerte sich, wie niedergeschlagen Yaru Aduasanbi gewesen war, als sich die Männer, an deren Seite er gekämpft hatte, diese Männer, für die er sich eine bessere Zukunft, ein besseres Leben erträumt hatte, gegen ihn gewandt hatten. Am meisten aber hatte ihn erstaunt, dass Aduasanbi offenbar weder Groll noch Wut empfand.
    Henry Okah hatte sie schließlich überzeugt, indem er die Glut alter abergläubischer Überzeugungen anfachte, die Naïs umgaben. Umaru kannte die Gefahr dieser Anschauungen ganz genau. In der Schule hatten seine Klassenkameraden erzählt, er sei unrein zur Welt gekommen, da ihn seine Mutter während ihrer Periode empfangen habe, und dieses unreine Blut habe seine Augen gefärbt. Selbst seine Familie hatte ihn verdächtigt, ein böser Geist zu sein, ihn dann beschuldigt, Unglück zu bringen und ihren Ruin zu wollen. Seine Onkel hatten an Legenden erinnert, wonach die Arme und die Beine von Albinos, am Eingang einer Mine ausgelegt, Gold anziehen und ihre Finger an einem Angelhaken Fische, die Goldklumpen verschluckt haben, an die Oberfläche locken sollen. In Burundi und in Tansania wurden Menschen wie er zerstückelt, mitten auf der Straße abgeschlachtet und ausgeweidet, und aus ihren Organen stellten Hexer Glücksbringer her. Er erinnerte sich an Presseartikel, die das entsetzliche Martyrium jenes zehnjährigen Albinomädchens schilderten, das in Stücke gehauen wurde und dessen Leiche am Ortsausgang von Nyabitsinda einfach liegen gelassen wurde.
    Naïs drohte das gleiche Schicksal wie Albinos in Burundi, wie Zwillingen im Volk der Ibo, die als Unheil bringend galten und nach der Geburt in verfluchten Wäldern ausgesetzt wurden, wie Pygmäen im Kongo, denen die Rebellen von Jean-Pierre Bemba das Herz herausrissen, um sich ihre Kraft und ihren Mut anzueignen.
    Umaru verfolgte den Verlauf der Straßen, die von Damasak ausgingen. Er hatte von vornherein die Möglichkeit ausgeschlossen, dass Aduasanbi in den Niger zurückkehrte; die Hungersnot und die Zusammenstöße mit den Flüchtlingen gewährleisteten die Sicherheit von Naïs in keiner Weise. So blieb nur die Straße nach Maiduguri oder die zum Tschadsee.
    Maiduguri würde sie gefährlich nahe an Abuja bringen, dachte er, aber es gab Nahrung und Krankenhäuser. Die Straße Richtung Tschadsee verlief durch gefährliche Gebiete, für einen Mann mit einem kranken Kind war es ein regelrechtes Kamikaze-Unternehmen, aber die Route führte auch zur Grenze nach Kamerun, wo sich Aduasanbi eine echte Chance bot zu verschwinden.
    »Chef?«
    Umaru sah von der Karte auf.
    »Also? Wohin soll die Reise gehen?«
    Der Albino zögerte. Er durfte sich nicht irren. Wenn das, was er vermutete, zutraf, war Henry Okah einige Stunden vor der amtlichen Bekanntgabe seiner Freilassung auf freien Fuß gesetzt worden. Und er war bereits auf der Jagd.
    »Zum Tschadsee«, entschied er. »Zum Krankenhaus von Baganako.«

Baganako
    »Der Preis dafür, dass man die anderen dazu bringt,
die eigenen Menschenrechte zu achten, ist der Tod.«
    Malcolm X

74
    Das Krankenhaus von Baganako stammte aus den Sechzigerjahren und glich aus der Ferne dem Kontrollhäuschen einer Mautstelle am Eingang eines kleinen Slums – eine Ansammlung von Stroh- und Wellblechhütten, die zur Landschaft hin breiter wurde und sich bis nah ans Ufer des lehmigen Tschadsees erstreckte.
    Das zweigeschossige Gebäude mit Flachdach war ein trostloser Komplex in Hufeisenform und ein typisches Beispiel für jenen schmucklosen funktionalistischen Baustil ohne Charme, der von europäischen Bewegungen inspiriert und bis Anfang der Neunzigerjahre en vogue gewesen war.
    Im Osten, in der Nähe der Grenze, erhob sich das Stadtzentrum von Baganako mit seinen verlassenen Gebäuden. Am Ufer hatten Beamte, die gegen Ende ihrer Laufbahn hierher abgeschoben worden waren, ohne zu wissen, wieso und warum, so etwas Ähnliches wie ein Wohnviertel gebaut. Bewaffnete Wachposten, die ohne Vorwarnung auf Diebe und Halbwüchsige, die sich etwas zu nahe heranwagten, schießen sollten, vertrieben sich die Langweile damit, dass sie die Schwärme toter Fische betrachteten, die die Strömung an ihnen vorbeitrug.
    Megan unterdrückte einen leichten Anflug von Angst und stieß die Türen der Krankenstation auf. Sie grüßte die diensthabende

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