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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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also diejenigen, bei denen die Unterernährung durch Infektionen oder andere Erkrankungen verschlimmert wird: Malaria, Lungenentzündung, Aids. Früher, als uns nur therapeutisches Milchpulver zur Verfügung stand, mussten wir alle bis zum Nachlassen der Symptome behandeln. Die Mütter mussten hierbleiben, um ihre Babys alle zwei Stunden zu füttern. Die meisten von ihnen haben vier oder fünf Kinder, und sie arbeiten auf dem Feld, um ihre Familie mit dem Nötigsten zu versorgen. Mit Plumpy’Nut haben wir dieses Problem zum Teil gelöst.«
    Er öffnete einen Wandschrank und hielt ihr ein kleines luftdicht verschlossenes Beutelchen hin, das nicht größer als ein Snickers war.
    92 Gramm, 500 Kalorien.
    Ein Konzentrat aus Nährstoffen und Vitaminen. Ein Rettungsanker für Millionen Sterbende.
    »Ich lasse Sie jetzt allein, damit Sie sich mit den Patienten vertraut machen können. Wollen wir in einer Stunde eine Bestandsaufnahme machen? Und schauen wir uns dann zusammen den Tagesplan an?«
    »Ja, das passt.«
    »Wenn Sie bis dahin irgendetwas brauchen«, stieß er noch hervor, ehe er die Tür wieder schloss, »wenden Sie sich bitte jederzeit an mich.«
    Megan begann ihre Visite mit den schlimmsten Fällen, jenen, die nach medizinischem Ermessen die geringsten Überlebenschancen hatten. Sie blieb vor dem Bett eines kleinen Jungen stehen, der eine Infusion bekam. Laut den Einträgen in seiner Krankenakte war sein Vater während des Fußmarschs hierher gestorben, und seine Mutter hatte infolge der vielen Schicksalsschläge den Verstand verloren. Nach fünftägiger Behandlung über eine Nasensonde hatten die Ärzte versucht, dem Kind therapeutische Milch F-100 zu verabreichen, aber es wäre beinahe einem Malariaschub erlegen, sodass sie ihm erneut Nährstoffinfusionen verabreichen und Chinin spritzen mussten. Von dem Bett zu ihrer Rechten starrte Megan ein anderer kleiner Junge an. Sie setzte sich an sein Bett und legte die Hand auf seine Stirn.
    »Kein Fieber … «, sagte sie mit lauter Stimme. »Tut dir irgendetwas weh?«
    Der kleine Junge antwortete nicht und schaute sie weiterhin unverwandt an, dabei hielt er einen Beutel Plumpy’Nut zwischen seinen Fingern, als wäre es eine Puppe. Die Krankenschwester überflog die Krankenakte. Der Junge, der bei seiner Aufnahme Symptome von Marasmus gezeigt hatte, wurde seit einem Monat behandelt. Er hatte zugenommen und war wieder zu Kräften gekommen, aber sein Blick behielt eine glasige Starre, die etwas leicht Verstörendes hatte.
    Diagnose: Der Mangel an Vitaminen und Mineralsalzen hatte sein Gehirn schwer geschädigt. Folgen: Beeinträchtigung der kognitiven und motorischen Fähigkeiten. Prognose: Der Junge würde heranwachsen, mit etwas Glück sogar ein fortgeschrittenes Alter erreichen, aber er würde bis an sein Lebensende schwachsinnig bleiben.
    »Lass mich los!«
    Megan hörte Schreie von der Treppe.
    »Lass mich los, sag ich, verdammte Hexe! Ich bin kein Dieb!«
    Die Unruhe weckte Säuglinge auf, die zu weinen anfingen. Megan durchquerte den Gemeinschaftsraum im Laufschritt und wäre beinahe in die tschadische Krankenschwester hineingerannt, die einen etwa fünfzehnjährigen Halbwüchsigen fest am Kragen gepackt hatte.
    »Was tust du hier?«, brüllte die Krankenschwester, »du Mistbengel, hä?«
    »Nichts! Ich schwör’s!«
    Der Junge versuchte, sich dem eisernen Griff zu entwinden.
    »Was ist los?«, fragte Megan, die dazwischentreten wollte.
    »Ich hab diesen Schlingel beim Herumschnüffeln erwischt! Du hast Medikamente gesucht, um sie weiterzuverkaufen, nicht wahr? Wen wolltest du beklauen? Sie?«
    Die Tschaderin bugsierte ihn zum Eingang des Gemeinschaftsraums. Der Junge ertrug den Anblick der ausgemergelten Körper nicht und wandte den Blick ab.
    »Ich sag doch, dass ich nichts klauen wollte!«
    »Ich glaub dir«, bemerkte Megan sanft. »Aber du musst mir sagen, warum du hier bist, sonst muss ich die Polizei anrufen … «
    »Und du wirst sehen, was sie mit Strolchen wie dir anstellen!«
    Der Junge blickte die füllige Krankenschwester finster an und flüsterte Megan zu: »Wenn ich dir alles sage, lässt du mich dann gehen?«
    »Versprochen.«
    Der Jugendliche kratzte sich am Kopf und zögerte – er blickte nervös in Richtung der Kinderstation.
    »Ein Typ hat mir zehn Dollar versprochen, wenn ich ihm sage, ob hier ein Mann und seine Tochter sind. Er hat mir ihre Fotos gezeigt.«
    »Und sind sie da oder nicht?«
    Megan wandte sich langsam zu dem Bett um, auf

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