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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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öffnete die Lippen einen Spaltbreit und lächelte über das, was sie gleich sagen würde, aber dann änderte sie ihre Meinung.
    »Nein, ich werde es dir sagen, wenn wir uns wiedersehen.«
    »Das ist sadistisch.«
    »Das ist besser als ein Lebewohl, oder?«

72
    Auf dem Rücksitz des Wagens konnte Megan dem Drang nicht widerstehen, sich umzuwenden, um zu sehen, wie sich der hohe Drahtzaun des Lagers entfernte und, ganz am Ende der Piste, rund wurde, als schmiege er sich an die Krümmung des Globus an.
    Der rote Staub, der durch den täglichen Verkehrsstau am Checkpoint aufgewirbelt wurde, schoss aus der Erde empor wie ein umgedrehter Wasserfall und tanzte, den Gesetzen der Physik trotzend, immer höher im kobaltblauen Himmel. Pechschwarze Säulen stiegen aus Holzfeuern auf, die von den Flüchtlingen angezündet worden waren. Ein Schwarm Störche, der kaum zu sehen war im Tageslicht, überflog das Lager und verschwand zwischen den verwirbelten Rauchfahnen.
    So wie der Geländewagen, der einer langen schnurgeraden Bahn folgte, die Kilometer verschlang, gab es nur noch die Mauer von Himmel und Erde.
    Die Krankenschwester schmiegte sich in den Sitz und drückte ihre Schläfe gegen die Scheibe. Der Fahrer summte hinter dem Lenkrad die Melodie aus dem Autoradio mit; hin und wieder hupte er Kinder an, die auf Steinen am Rand der Piste hockten. Abgemagerte Hunde suchten im Schatten der Lehmmauern eines Bauernhofs Schutz, der bei einer Naturkatastrophe, an die sich niemand mehr erinnerte, größtenteils weggespült worden war.
    Megan schloss die Augen. Die Melancholie der Landschaft und die extreme Abgeschiedenheit dieser Region erfüllten sie mit einem Gefühl der Traurigkeit und auch dem Bedauern darüber, den Ort zu verlassen, wo sie hätte sein sollen, den Mann, bei dem sie hätte bleiben sollen.
    Sie fuhren durch die Stadt Mongonu und dann Richtung Ngala, das an der Grenze nach Kamerun lag – sofern man dem verrosteten Verkehrsschild am Straßenrand Glauben schenken konnte. Megan döste vor sich hin, eingelullt von den Erschütterungen und dem Quietschen der Stoßdämpfer, als der Fahrer plötzlich das Radio lauter stellte.
    Plötzliche Wende in Abuja …
    Die Krankenschwester schreckte auf; der Journalist mit seiner näselnden Stimme schien ihr direkt ins Ohr zu sprechen. Der Fahrer warf einen Blick in den Rückspiegel.
    »Entschuldigung, ich wusste nicht, dass Sie schlafen.«
    »Ich auch nicht«, sagte sie und streckte sich.
    Heute Morgen um neun Uhr hat der Justizminister die Freilassung des mutmaßlichen Anführers der MEND, Henry Okah, bekannt gegeben. Der Richter Mohammed Liman hat diesen Beschluss bestätigt und erklärt, die Freilassung erfolge im Rahmen eines Angebots an die Rebellen, die Waffen niederzulegen …
    Megan hörte nur mit halbem Ohr zu und öffnete die Scheibe, um eine Zigarette zu rauchen. Die wohltuende Wirkung der Klimaanlage verflog in Sekundenschnelle. Vor den geschlossenen Fensterläden baumelten durch die Hitze zusammengeschrumpfte Spruchbänder, auf denen man in roten Buchstaben lesen konnte:
    NEIN ZU DEN FLÜCHTLINGEN – NIGERIA IST KEIN ASYLLAND MEHR – RAUS MIT DEN AUSLÄNDERN .
    Diese Freilassung wirft zahlreiche Fragen auf, und selbst innerhalb der Regierung wurde Protest dagegen laut. Der Sprecher des Justizministeriums widerspricht entschieden Vorwürfen, es handele sich um Rechtsbeugung.
    »Die halten uns wirklich für Idioten … «, stieß der Fahrer zwischen den Zähnen hervor.
    Henry Okah, der am 14. Februar 2008 in Angola festgenommen wurde, sollte wegen Hochverrats, Terrorismus, illegalen Besitzes von Schusswaffen, Waffen- und Drogenschmuggel angeklagt werden. Wir konnten seinen Anwalt bis jetzt nicht erreichen. Erinnern wir uns daran, dass zwei weitere mutmaßliche Anführer der MEND, Yaru Aduasanbi und Umaru Atocha, noch immer flüchtig sind.
    Der Fahrer schaltete mit einer wütenden Handbewegung den Ton aus und krümmte sich über das Lenkrad.
    »Ja, für Idioten … «, wiederholte er.
    Megan suchte im Rückspiegel Augenkontakt zu dem Mann, um ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen.
    »Haben Sie das gehört?«
    Sie lächelte, um ihm eine Freude zu machen und ihn so dazu zu bringen, sich ihr anzuvertrauen.
    »Sie lassen Henry Okah frei und wollen uns weismachen, es hätte keine Mauscheleien gegeben«, seufzte der Fahrer kopfschüttelnd. »Ich bin der Meinung, ein Verbrecher muss im Gefängnis bleiben. Finden Sie nicht?«
    »Doch, natürlich«, sagte sie, ohne wirklich über

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