Die Unseligen: Thriller (German Edition)
leiser Stimme, »Männer wie er werden dieses Land verändern … er hat bereits so viel für die Nigerianer getan … «
»Augenblick mal … habe ich richtig verstanden: Du hast Yaru Aduasanbi in der Krankenstation beschützt?«
»Ich konnte sie doch nicht einfach gewähren lassen. Sie hätten ihn umgebracht, wenn ich ihm nicht geholfen hätte … «
Er ließ das Skalpell fallen und wischte sich die Hand am Laken ab.
»Weißt du, Doc, ich bin Ijaw«, seufzte er, »das ist meine Ethnie, die Wurzeln meiner Familie … « Er sah Benjamin an, als erwarte er, dieser würde nach draußen stürzen. »Mein Vater war Bauer im Nigerdelta, und eines Tages kamen Männer einer Erdölgesellschaft, und sie haben ihm gesagt, dass er wegziehen muss, dass die Felder, die er bestellte, nicht mehr ihm gehörten, die Felder, auf denen er seine Eltern begraben hatte … Die Regierung sagte ihm, seine Eigentumsurkunden seien gefälscht, und wenn er nicht fortgehe, käme er ins Gefängnis … Mein Vater hat das nicht verkraftet, er ist zwei Monate später gestorben. Wir – meine Mutter, meine Brüder und ich – sind weggezogen, wir haben alles verlassen … Meine Mutter und mein jüngster Bruder haben die Reise nicht überlebt … deshalb hat man mich ins Waisenhaus gebracht.«
Er hatte ohne Unterbrechung gesprochen, sein Herz ausgeschüttet, und jedes seiner Worte war ihm schwergefallen.
»Ich weiß, dass du nicht verstehen kannst, weshalb ich das getan habe … aber Yaru Aduasanbi kämpft für Leute wie meinen Vater, er kämpft für uns, für das nigerianische Volk, für unsere Würde … «
Benjamin atmete mehrmals tief ein. Die Angst und der Wunsch zu fliehen waren immer noch da – gebieterische Gefühle, die ihn zur Tür zurückweichen ließen, ohne dass er sich dessen bewusst war. Er warf einen Blick zum Waschbecken. Auch Kesiah versuchte, die Schwäche ihres Kerkermeisters auszunutzen, um zum Ausgang zu kriechen.
»Sag mir, was wirklich passiert ist … «
»Schon an dem Tag, an dem ich sie zum ersten Mal sah, habe ich mich in sie verliebt.« Er deutete auf die junge Frau, die sich nicht mehr von der Stelle rührte. »Ich habe sie häufig besucht, und einmal hat sie mir ein Foto von Aduasanbi und einem kleinen Mädchen gezeigt. Sie wollte wissen, ob ich sie gesehen hätte … «
Der Mechaniker sackte in sich zusammen, ähnlich wie ein Automat, dessen Räderwerk plötzlich stehen bleibt. Er strauchelte zum Bett, und seine Beine ließen ihn im Stich, sodass er ungewollt schnell auf die Matratze plumpste.
»Als das Rote Kreuz vor ein paar Tagen Flüchtlinge hierhergebracht hat, hat man mich benachrichtigt, unter ihnen sei auch Aduasanbi. Er hatte sich einen anderen Namen zugelegt, um nicht der Polizei in die Hände zu fallen. Da bin ich zu ihm gegangen, um ihm zu sagen, er soll nicht hierbleiben, weil Männer nach ihm suchten.«
»Als ich dann Kesiah in der Krankenstation aufnahm … «, kam ihm Benjamin zuvor.
»… war mir klar, dass ich etwas tun musste, dass ich sie daran hindern musste, Aduasanbi zu verraten … « Georges versteckte sein Gesicht in seinen Händen. »Ich wollte sie überreden, nichts zu sagen, mit mir fortzugehen, aber sie hatte Angst … ich hatte keine andere Wahl, als … als … «
»Sie umzubringen?«, fragte Benjamin behutsam.
»Wer bin ich, dass ich mein persönliches Glück über die Zukunft eines Landes stellen könnte?« Seinen Lippen entrang sich nur noch ein Murmeln. »Als ich den Ruheraum betrat, bat ich den Doktor, hinauszugehen, mich mit ihr allein zu lassen, aber er weigerte sich … Ich wollte ihn nicht verletzen … «
»Und sie? Weshalb hast du es nicht durchgezogen?«
»Ich hab’s dir doch gesagt: Ich bin kein Mörder, Doc … «
»Aber du hattest keine Skrupel, sie hier einzusperren.«
»Es tut mir leid … ja, es tut mir leid, aber ich liebe sie, und ich hätte ihr nie ein Haar gekrümmt. Ich … ich glaube, dass … Er hat mir gesagt, alles würde danach gutgehen.«
»Wer hat dir das gesagt?«, bedrängte ihn Benjamin. »Wer hat dir mitgeteilt, dass Aduasanbi im Lager eintreffen würde?«
»Nein, das kann ich nicht sagen. Ich musste ihm schwören, nicht über ihn zu reden.«
»Und Naïs? Was weißt du über sie?«
»Ihre Fähigkeit ist Geld wert, viel Geld. Aus diesem Grund sind alle hinter ihr her.«
»Das weiß ich alles. Aber was für eine Krankheit hat sie?«
»Ich weiß es nicht, Doc. Yaru sagte, in Amerika gäbe es ein Mädchen, das an der gleichen
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