Die Unseligen: Thriller (German Edition)
Krankheit leidet.«
»Welches Mädchen?«
»Yaru sagte, dass sie Brooke Greenberg heißt.«
Holzsplitter und Gipswolken flogen durch das Zimmer, als die Polizisten die Tür einschlugen. Der ohrenbetäubende Lärm ging der Explosion der Fensterscheiben voraus. Gleichzeitig mit den Sonnenstrahlen drangen Schreie und Gestalten in den Raum. Der Arzt sah nichts kommen. Ihm wurden die Beine mit einer Kraft weggeschlagen, der er keinen Widerstand entgegensetzen konnte. Er hatte sehr kurz das Gefühl, in der Luft zu schweben, ehe er mit seinem ganzen Gewicht auf den Boden knallte. Der Schmerz in seinem Rücken strahlte bis in seinen Schädel aus, und die Befehle der Polizisten, der Tumult, die gezückten Waffen, alles, was sich in dem Zimmer abspielte, schien ihm weit, sehr weit weg zu sein.
Ehe er ohnmächtig wurde, konnte er noch erkennen, dass Georges ebenfalls ausgestreckt dalag, einen Armeestiefel auf dem Gesicht. Die Lippen des jungen Schwarzen bewegten sich, aber Benjamin schnappte nur die Worte »Es tut mir leid« auf.
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»Bist du dir sicher, dass es geht?«
»Nicht wirklich«, sagte Benjamin und stützte sich auf Jacques’ Schulter. »Kümmere dich um Kesiah. Sie braucht einen Arzt.« Er verzog das Gesicht vor Schmerzen.
»Du auch … «
»Aber ich kann warten.«
Der Einsatzleiter nickte und machte kehrt, um ins Innere des Zimmers zurückzukehren. Benjamin blieb einige Sekunden vor der Tür stehen und humpelte dann zu den Polizisten, die Georges in einen der Jeeps stießen.
»He! Warten Sie!«, schrie er, während er die Hand auf sein Kreuz drückte. »Ich muss mit ihm reden … «
Er fluchte, als er sah, dass ihm Stona den Weg versperrte.
»Tut mir leid, Doktor Dufrais. Ich bin jetzt für den Mann verantwortlich.«
Benjamin wollte nicht klein beigeben, aber ihm fehlte die Kraft. Der Schmerz in seinem Rücken riss ihn entzwei, und er hatte das Gefühl, seine Nerven würden von Holzsplittern durchbohrt. Forman Stona schob seine Hand unter Benjamins Achsel.
»Immer mit der Ruhe … «
Er stützte ihn, bis er sich wieder aufgerichtet hatte. Der Arzt atmete langsam, und eine Stimme in seinem Kopf flüsterte ihm zu, er habe sich beim Sturz einen Wirbel gebrochen.
»Hat er Ihnen gesagt, weshalb er diese Verbrechen begangen hat?«, fragte Forman Stona, auf den Jeep zeigend.
»Er wollte Yaru Aduasanbi beschützen und ihm bei der Flucht helfen.«
Sie sahen gemeinsam zu Georges hinüber. Der junge Schwarze hielt den Kopf gesenkt und war kaum zu erkennen – nur ein verschwommener Fleck hinter den Spiegelungen im Fenster. In kleinen Gruppen zusammenstehende Flüchtlinge zeigten mit dem Finger auf ihn und flüsterten ihren Nachbarn etwas ins Ohr. Kinder hatten einen LKW erklommen und verrenkten sich die Hälse, um zu sehen, was geschah.
»Was werden Sie mit ihm machen?«
»Ihn vernehmen, anschließend wird er in ein Gefängnis gebracht, bis sich ein Richter mit dem Fall befasst.«
Ein Laken um die Schultern gehängt, setzte Kesiah zaghaft einen Fuß vor den anderen. Sie beschattete ihre Augen mit der rechten Hand, während ihre Linke den Unterarm des Einsatzleiters von MSF umklammerte. Ihr Erscheinen löste einen jähen Stimmungsumschwung aus. Das Tuscheln in der Menge wurde lauter.
»Jacques wird sie ins Krankenhaus fahren«, sagte Benjamin.
»Ich muss sie befragen.«
»Nein«, entgegnete Benjamin in festem Ton. »Sobald sie untersucht wurde, können Sie ihr in aller Ruhe Fragen stellen. Aber nicht vorher.«
Stona antwortete nicht. Er beobachtete reglos, wie Jacques Kesiah wegführte. Im Innern des Jeeps rutschte Georges nervös hin und her, und einer der Polizisten schlug mit der flachen Hand aufs Dach des Jeeps, um dem Fahrer zu bedeuten loszufahren.
Das Polizeiauto fuhr auf die Menge zu, die sich widerwillig teilte. Fußtritte gegen die Wagentüren und das Bespucken der Scheiben antworteten auf das wiederholte Hupen, und Benjamin konnte nicht sagen, ob sie dem Gefangenen oder den Männern in Uniform galten.
Er sah flüchtig das Gesicht von Georges, das sich ihm, Kesiah und diesem früheren Leben zuwandte, welches sich unwiderruflich in dem Maße entfernte, wie der Jeep beschleunigte. Und bald spiegelten sich nur noch weiße und gelbe Schemen im Verbundglas der Scheiben. Der Trubel des Lagers verflog, kaum dass der Wagen den Checkpoint passierte, die Spannungen erloschen von selbst, und das Gemurmel verstummte.
90
»Halt still … «
Eingesperrt ins Sprechzimmer, erreichte sie die Unruhe auf
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