Die Unseligen: Thriller (German Edition)
«
Die Augen des Priesters funkelten seltsam.
»Ich habe Sie erwartet«, sagte Pater David und reichte ihm die Hand.
93
Henry Okah überprüfte die Spanngurte, die den Kindersitz an der Rückbank befestigten.
Alles war vorbereitet.
Er machte die Tür wieder zu und verriegelte den Wagen. Ein magerer Hund mit schwarzem Fell humpelte mitten auf der menschenleeren Straße und wandte seine Schnauze Okah zu. Dieser las einen Kieselstein auf und zielte auf den Hund. Der Stein hüpfte zwischen den Beinen des Tieres, das aufheulte und sich ins Innere eines leer stehenden Gebäudes trollte.
Okah schnallte das Doppelholster um seinen Oberkörper und steckte die beiden Glock 21 hinein.
Sobald die Sonne unterging, würde er zuschlagen. Er nahm sein Telefon und wählte die Nummer seines Anwalts.
»Du kannst die Papiere vorbereiten«, sagte er, ohne ein Lächeln unterdrücken zu können. »Ich werde vor Mitternacht ein freier Mann sein.«
»Hast du sie gefunden?«
Okah ging, das Handy am Ohr, in das Gebäude hinein.
»Die Frau von Aduasanbi hatte nicht gelogen. Sie sind im Krankenhaus von Baganako.« Er tastete seine Taschen nach Zigaretten ab. »Und was gibt’s Neues bei dir?«
»Ich habe sauber gemacht«, seufzte der Anwalt. »Der Mord an dem Mädchen hat ziemliche Wellen geschlagen, aber die Regierung deckt dich weiterhin. Das Problem ist nur, dass Frau Aduasanbi die Presse informiert hat.«
»Ich hab das gelesen«, sagte Okah und kaute auf dem Filter seiner Kippe herum. »Hat sie meinen Namen erwähnt?«
»Ja, aber das Ministerium hat sich rechtzeitig eingeschaltet. Die Polizei hat erklärt, es gebe keine Spur, und sie haben sie in eine geschlossene Anstalt eingewiesen.«
»Arme Frau … «
Er starrte einen Moment lang die Flamme des Feuerzeugs an.
»Außerdem gibt es ein Problem mit den Typen der MEND ; die meisten weigern sich, ihre Waffen niederzulegen.«
»Gib den Behörden ihre Namen.«
»Bist du dir sicher?«
Okah blieb auf dem Treppenabsatz der ersten Etage stehen. Bauschutt und Regenplanen aus Plastik, die durch die extreme Hitze spröde geworden waren, verwandelten den Raum in ein fremdartiges Labyrinth, ein Gitter aus Licht und Schatten.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich vor Mitternacht ein freier Mann sein werde, und ich schwöre bei meiner Seele, dass ich alle umbringen werde, die sich mir in den Weg stellen.«
94
Megan desinfizierte die Wunde und legte den letzten Verband an. Der junge Mann war noch immer nervös und drehte sich in einem fort zu der Wanduhr um, die über dem Eingang hing.
»Sie müssen sich ausruhen«, sagte sie.
Sie hatte den Eindruck, dass er sie nicht hörte, weil er seine ganze Aufmerksamkeit auf die Bewegungen der Zeiger gerichtet hatte. Er hatte keine schmerzstillenden Medikamente einnehmen wollen, auch eine Lokalanästhesie hatte er abgelehnt und sich so dazu gezwungen, die Schmerzen auszuhalten, als der Arzt ihn genäht hatte. Sie ging von ihm weg, beobachtete ihn aber aus den Augenwinkeln.
»Hast du auch das Gefühl, dass mit diesem Jungen irgendetwas nicht stimmt?«
Im angrenzenden Raum war einer der Krankenpfleger damit beschäftigt, den Vorrat an Kathetern und Spritzen zu kontrollieren.
»Man könnte meinen, dass er jemanden erwartet«, meinte Megan.
»Mhm, oder dass er irgendein Ding drehen will … Knallharter Bursche jedenfalls. Er wurde übel zugerichtet.«
Megan nickte nur. Während der gesamten Dauer der Behandlung des jungen Mannes war sie nicht richtig bei der Sache gewesen. Die Anwesenheit des Priesters inmitten der Kinder beunruhigte sie.
Aber das Mädchen hat gelächelt, als es ihn sah …
Nein, nicht, als es ihn sah. Als es hörte, wie er seinen Namen aussprach: Naïs.
Sollte er sich doch nicht geirrt haben? Sollte er dieses Kind tatsächlich kennen?
Ein kalter Schauer durchrieselte sie, als sie Yaru Aduasanbi die Treppe, die zur Kinderstation führte, hinuntersteigen sah. Er kam mit festen Schritten auf sie zu und lächelte sie an.
»Entschuldigen Sie … Ich habe eine leichte Migräne, und wenn das möglich wäre, hätte ich gern etwas dagegen.«
»Ich … « Sie zwang sich dazu, nichts von der Unruhe zu zeigen, die sie beschlich. »Ja, natürlich, kommen Sie mit mir, ich werde Ihnen Ibuprofen geben.«
Mit zitternden Händen öffnete sie den Arzneischrank und stellte sich dabei so ungeschickt an, dass Medikamentenschachteln zu Boden fielen. Tabletten und Gelkapseln lagen verstreut auf dem Boden.
»Mist!«
Yaru Aduasanbi bückte
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