Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
Vom Netzwerk:
Kaspar, glaube mir. Der Eintopf ist gleich warm. Das wird dich auf andere Gedanken bringen.«
    Sie hätte frisches Brot backen sollen. Von den Laiben, die sie gestern gebacken hatte, war nur noch ein winziger Kanten übrig. Sie reichte ihn Kaspar und füllte dann die Rüben in ihre Schüsseln.
    Schon beim ersten Bissen maulte er prompt: »Das Brot ist alt und hart!«
    »Nein, Bruder, altes Brot ist nicht hart. Kein Brot ist hart«, gab sie zurück.
    »Dieses hier schon«, protestierte er.
    Sie seufzte. Wie erschöpft sie war. »Du verstehst nicht, aber ich wiederhole es gern noch einmal, damit du es dir hinter die Ohren schreibst: Kein Brot ist hart«, sagte sie mit einer so deutlichen Betonung, dass auch er begriff.
     
    In den nächsten Tagen achtete Esther sorgsam darauf, dass sie ihre Hausarbeiten nicht vernachlässigte. Auch brachte sie Kaspar einmal Wasser, das sie mit gewürztem Wein versetzt hatte, in die Schreibstube, als er nicht auf der Baustelle gebraucht wurde. Und sie machte ihm Honigkuchen. Wenn er nur zufrieden war, dann fragte er nicht viel und kümmerte sich nicht darum, wie sie ihre Zeit verbrachte. Jeden freien Augenblick konnte sie nutzen, um Marolds Schrift zu üben, bis sie schließlich meinte, man könne das Original nicht mehr von der Kopie unterscheiden.
    »Du bist lange nicht mehr in der Schenke gewesen«, sagte sie an diesem Abend zu ihm, nachdem er sein Nachtmahl verzehrt hatte. »Morgen ist Sonntag, da brauchst du nicht bei Sonnenaufgang an die Arbeit zu gehen. Warum also gönnst du dir heute nicht einen Besuch dort?«
    Kaspar sah sie mit großen Augen an. »Sagst du sonst nicht immer, dafür ist kein Geld da? Und jetzt schlägst du mir einen Gang in die Schenke selber vor. Warum das?«
    »Nun, ich dachte, du kannst die Tochter des Wirts recht gut leiden.«
    »Das ist wahr«, erwiderte er, grinste und rieb sich verlegen die Nase.
    »Wird es nicht Zeit, dass du ihr den Hof machst?«
    Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und streckte die Beine von sich.
    »Bestimmt will sie nichts von mir wissen. Ich bin nur ein armer Schreiber.«
    »Immerhin bist du ein Schreiber, der für den Dombaumeister tätig ist. Das ist ein solides Auskommen, auf das du noch lange Zeit hoffen darfst. Ein kluges Mädchen wird das zu schätzen wissen. Außerdem machen deine roten Locken doch ohnehin alle Weiber verrückt«, neckte sie ihn. »Tu nur ja nicht so, als ob du das nicht wüsstest.«
    Wieder rieb er sich die Nase. »Ach was, Schwester, das erfindest du nur.«
    »Tue ich nicht.«
    »Tust du doch!«
    Sie huschte um den Tisch herum und wühlte ihre Hände in sein Haar. »O nein, Bruderherz, ich meine es ernst.«
    »Lass das!« Er duckte sich unter ihr weg und lachte. »Dann gehe ich also in die Schenke«, verkündete er fröhlich.
    »Und vorher bringst du mich zu Vitus und holst mich später auch wieder bei ihm ab, ja?«
    »Aha, daher weht der Wind. Ich hätte mir doch denken können, dass du etwas im Schilde führst.«
    Sie schluckte. Er konnte doch nichts von ihren Plänen wissen.
    »Als ob meine Schwester mich ohne Hintergedanken in die Schenke gehen ließe. Von wegen der Tochter des Wirts den Hof machen. Ich soll dir nur als Begleiter herhalten, damit du deinen geliebten Vitus sehen kannst.«
    Sie atmete auf. »Nicht nur«, besänftigte sie ihn zuckersüß. »Warum nicht das eine mit dem anderen verbinden?«
    »Schon gut, schon gut, das ist eine feine Idee. Ich ziehe mir nur ein frisches Hemd über, dann können wir gehen.«
     
    »Ich will nichts mehr davon hören!« Vitus bebte am ganzen Körper und ging mit raschen Schritten in seiner guten Stube auf und ab. Dabei zog er jedes Mal den Kopf ein, wenn er unter einem der dicken, beinahe schwarzen Balken hindurchkam, die das obere Stockwerk trugen. Er bewohnte das Haus seiner Eltern in der Fleischhauerstraße, einen schmalen zweigeschossigen Holzbau, wie er in der Gegend nicht selten war. Die Straße gehörte zum Johannisquartier, das sich an das Johanniskloster anschloss und überwiegend Heimat von Handwerkern war. Vitus’ Großvater war Zimmermann gewesen, darum stand das Haus der Familie in diesem Quartier. Das Schicksal hatte dann wie so oft seinen eigenen Weg eingeschlagen und Vitus’ Vater Getreidehändler werden lassen. Schon eine geraume Zeit vor dem Tod seines Vaters hatte Vitus dessen Geschäfte übernommen. Bis vor wenigen Wochen hatte seine Mutter oben in der Kammer gelegen und darauf gewartet, ebenfalls vom Herrgott abberufen zu werden.

Weitere Kostenlose Bücher