Die unsichtbare Handschrift
Lauf der Jahre aber vermutlich abgerissen und neu errichtet worden war.
»Christa, geben Sie uns mal wieder die Ehre? Wie schön!« Costas, der Chef des Restaurants, war an ihren Tisch getreten.
»Die gebe ich Ihnen doch mindestens zweimal die Woche«, entgegnete sie und schüttelte seine Hand. Der Mann mit dem schwarzen Haar und den sanften Augen war nicht nur ausgesprochen höflich, sondern hatte immer ansteckend gute Laune. Sie mochte ihn. Ein Grund mehr, um immer wieder hierherzukommen.
»Wenn Sie nicht gerade in Köln sind oder vor lauter Arbeit gar nicht zum Essen kommen«, warf er ein. »Haben Sie schon bestellt, oder kann ich noch etwas für Sie tun?«
»Danke, ich bin bestens versorgt.«
»Schön.« Damit zog er sich zurück und kümmerte sich um andere Gäste. Sie musste schmunzeln. Obwohl sie sich bereits so lange kannten und auch schon lange Gespräche miteinander geführt hatten, die deutlich über den üblichen Smalltalk zwischen Wirt und Gast hinausgingen, wäre er nie auf die Idee gekommen, sie zu duzen. Dabei hätte sie gar nichts dagegen einzuwenden. Eigentlich mochte sie die legere Art viel lieber. Aber bei Costas hatte die förmliche Anrede einen ganz eigenen Charme.
Sie sah ihm einen Moment zu, wie er mit einer Gruppe von sechs Männern plauderte. Sie trugen Anzüge und hatten Akten auf dem Tisch. Geschäftsleute, vermutete sie. Dann kehrten ihre Gedanken zu der Lübeckerin zurück, die in dem ungewöhnlichen Testament vor über achthundert Jahren so reich bedacht worden war. Die Vorstellung, dass es gewissermaßen eine Verbindung gab, dass die vermeintliche Schreiberin von damals über dieselbe Erde geeilt war wie Christa heute, hatte etwas Magisches. Sie musste unbedingt mehr über diese geheimnisvolle Person erfahren. Vor allem musste sie herauskriegen, ob sie das verlangte Geständnis abgelegt und das Geld bekommen hatte. Plötzlich lief Christa eine Gänsehaut über den Rücken, und sie hatte den Eindruck, dass jemand sie beobachtete. Sie sah sich um, aber die Menschen, Pärchen und kleine Gruppen, kümmerten sich nicht um sie. Mit einem Mal wurde ihr klar, dass es nicht das Gefühl war, von Menschen beobachtet zu werden. Christa Bauer meinte, dass der Geist einer Toten, einer vor Hunderten von Jahren gestorbenen Frau, anwesend war.
»Wer bist du?«, fragte sie leise.
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Plöner Bischofsberg, 8 . April 1226
N ein, Herr, bitte nicht! Lasst mich gehen!« Die Stimme der Magd überschlug sich vor lauter Panik. Sie war ein junges Ding, noch ein Kind, ganz nach seinem Geschmack.
»Ja, recht so, zier dich nur gehörig.« Seine Stimme war rauh und verriet seine Erregung. »So jung, und doch weißt du schon, wie du einem Mannsbild den Kopf verdrehen kannst.«
»Ich bitte Euch, Herr, das war nicht meine Absicht. Bitte, das müsst Ihr mir glauben!«
»Absicht oder nicht, du wirst schon auf deine Kosten kommen. Na komm schon her!«
Ein hohes Kreischen, dann Geräusche wie von einem Handgemenge.
»Bitte, Herr, verschont mich!« Jetzt weinte die Magd.
»Keine Sorge, ich werde dir nicht gleich ein Balg ansetzen.« Er grunzte zufrieden. »Ah, herrlich festes Fleisch.« Das Mädchen schluchzte laut auf. »Fühlt sich gut an, nicht wahr? Das wird sich gleich noch viel besser anfühlen. Beine auseinander!«
»Nein, ich kann nicht, bitte, ich kann doch nicht …« Ihr Flehen ging in ein Wimmern über.
»Nun reicht es mit dem Theater. Die Beine auseinander, sage ich. Sollst mir doch nur meinen Degen schmieren, damit ich es bei meiner Alten gleich leichter habe. Die wird wieder daliegen wie ein toter Hering. Wie soll ein Mann da seinen Stammhalter zeugen, frage ich dich.« Während er sprach, keuchte er und stieß die Worte im gleichen Rhythmus hervor, mit dem er vermutlich in die junge Magd eindrang. Im Flur. Direkt vor dem Schlafgemach, das er mit seiner Gattin teilte.
Heilwig von der Lippe hielt sich die Ohren zu. Wenn er mit der Kleinen fertig war, würde er mit hartem, hoch aufgerichtetem Geschlecht zu ihr kommen und den Beischlaf verlangen, nicht ohne zu fordern, dass sie dieses Mal gefälligst einen Knaben hinzukriegen habe. Sie würde sich ebenso wenig wehren können wie die Magd. Es würde schmerzen, aber es würde immerhin rasch vorbei sein. Wenn sie Glück hatte, würde er schon nach wenigen Wimpernschlägen grunzend über sie fallen, kurz liegen bleiben, sich dann zur Seite rollen und sie für einige Tage in Frieden lassen.
Am nächsten Morgen fühlte Heilwig sich, als
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