Die unsichtbare Handschrift
Wort sagte, aber ebenfalls eine formvollendete Verbeugung zustande brachte.
»Hochverehrter Domherr«, begann der etwas Kleinere. Seine Stimme hatte einen unangenehm einschmeichelnden Tonfall, der Marold auf Anhieb abstieß. »Mein Name ist Felding. Ich bin ein rechtschaffener Fernhandelskaufmann aus Köln, der in dieser großartigen und bedeutenden Stadt ehrlich und fleißig seinen Geschäften nachgeht.«
»Wenn dem so ist, solltet Ihr es nicht nötig haben, dies so angestrengt zu betonen«, gab Marold verächtlich zurück.
»Ich betone dies nur aus einem Grunde«, sprach der Mensch unbeirrt weiter, dessen Visage Marold mit jedem Atemzug weniger leiden konnte. »Nicht alle Fernhandelskaufleute leben und arbeiten einträchtig mit den Lübeckern zusammen. Hier und da gibt es Reibereien, wenn ich so sagen darf. An denen mag ich mich jedoch in keiner Weise beteiligen, denn es geht mir gut hier, und mein Geschäft blüht.«
»Schön für Euch. Was kann ich nun für Euch tun?«, wollte Marold ungeduldig wissen.
»Es ist in der Stadt ein offenes Geheimnis, dass Ihr damit betraut seid, eine Abschrift der Urkunde zu fertigen, mit der Kaiser Barbarossa Lübeck einst mit großzügigen Privilegien ausstattete.«
Marold ließ seine Feder sinken. Der Kerl mit dem Gesicht eines Fuchses wurde ihm immer unangenehmer.
»Was habt Ihr damit zu schaffen?«, fragte er barsch.
»Nichts, im Grunde habe ich gar nichts damit zu schaffen«, antwortete der rasch. »Doch hielt ich es für meine Pflicht, Euch wissen zu lassen, was ich gehört habe.« Er machte eine lange Pause und sah zu Boden.
»Und das wäre?«
»Ich hörte, dass Adolf, der Graf von Schauenburg und Holstein, Wind von der Sache bekommen hat.«
Marold sprang auf, blieb aber hinter seinem Pult stehen. Er stützte die geballten Fäuste auf das Holz. »Wie das?«
»Darüber vermag ich Euch nichts zu sagen. Ich hörte nur, dass der Graf, nun, sagen wir mal, wenig angetan von der Vorstellung war. Immerhin soll ihm der Zugriff auf die Stadt unmöglich gemacht werden, was ich nur zu gut verstehen und aus tiefstem Herzen unterstützen kann. Niemand kann ernsthaft den Schauenburger an der Spitze Lübecks wünschen!«
»Nein, das kann sich niemand wünschen, denn allen würde es schlecht damit ergehen.« Die Knöchel seiner Hände traten weiß hervor, so kräftig stützte er sich auf, als er sich nun vorbeugte, um seinen Besucher eindringlich anzusehen. »Ihr seid doch nicht nur hergekommen, um mir diese Nachricht zu überbringen. Was wollt Ihr?«
Der Kerl, der sich als Kaufmann aus Köln namens Felding vorgestellt hatte, deutete wiederum eine Verbeugung an.
»Wie Ihr seht, bin ich nicht allein gekommen. Dies hier ist mein Schreiber, der alles von mir erlernt hat, was für den Handel mit Wein und Getreide nötig ist. Ich nahm ihn als Lehrjungen vor etlichen Jahren zu mir. Er war stets tüchtig und vor allem gewissenhaft. Es hat sich gezeigt, dass ihm das kaufmännische Denken nicht so sehr liegt, dafür führt er den Gänsekiel sicher und sauber wie kaum jemand.«
»Warum erzählt Ihr mir das?«, fragte Marold knapp.
»Als ich hörte, dass Graf Adolf Kenntnis von den Lübecker Plänen hat, war mir sofort klar, dass er versuchen wird, diese zu vereiteln.«
»Und was hat das eine mit dem anderen zu tun?«
»Das will ich Euch gern sagen.« Er machte erneut eine Pause. Marold war drauf und dran, endgültig die Geduld zu verlieren. »Wenn Graf Adolf etwas unternimmt, wird sich das gewiss gegen denjenigen richten, der das Schreiben aufsetzen soll. Jeder in der Stadt weiß, dass Ihr derjenige seid. Es sind noch acht Tage, bis sich die Sendboten mit der Pergamentrolle auf den Weg machen. Zeit genug, die Spur zu verwischen.«
»Was meint Ihr damit?«
»Nun, noch ist es möglich, dass sich herumspricht, Ihr hättet die Aufgabe abgelehnt, weil Ihr sie, sagen wir, als Notar nicht auf Euch nehmen könnt. Adolf würde die Rats- und Stadtschreiber aufsuchen. Womöglich wird er sogar dem Skriptorium in der Depenau einen Besuch abstatten. Ihr habt vielleicht schon davon gehört. Dort bieten drei Schreiber ihre Dienste an. Am Ende wird ihm nichts übrigbleiben, als den Sendboten aufzulauern, doch die gehen wohl kaum ohne Schutz, habe ich recht?«
»Natürlich nicht.« Marold war im höchsten Maße angespannt. Er dachte fieberhaft nach, was er von alledem halten sollte.
»Dass er auf mich und meinen treuen Schreiber kommt, halte ich für vollkommen unmöglich«, schloss
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