Die unsichtbare Handschrift
es an Heilwig, nachzudenken. Sie ging hinüber zu dem Gemälde, das ein Maler kürzlich von ihrer kleinen Tochter Mechthild angefertigt hatte, und drehte Magnus den Rücken zu. Während es in ihrem Kopf arbeitete, betrachtete sie versonnen das zarte Kindergesicht, das mit sicherem Pinselstrich auf die Leinwand gebracht war. Lange brauchte sie nicht, dann wusste sie, was zu tun war.
»So müsst Ihr beide Schriftstücke mit nach Lübeck nehmen und ein lohnendes Sümmchen Geld obendrein. Felding muss die Ausgabe zu sehen bekommen, die ihn zufriedenstellt. Und Ihr müsst einen finden und dafür bezahlen, dass er im letzten Augenblick, unmittelbar bevor die Sendboten das Dokument holen, meine Ausgabe gegen die des Herrn Felding austauscht.«
»Eure Ausgabe? Ich verstehe nicht recht.«
Sie drehte sich auf dem Absatz um und kam mit schnellem Schritt zu ihm hinüber. Vor Schreck verschluckte er sich und musste entsetzlich husten.
»Ich weiß genau, was es ist, das im Wortlaut unterschlagen werden soll. Bringt mir die Wachstafel her. Und bringt auch Pergament und Tinte mit. Ihr schreibt alles noch einmal, und ich werde Euch sagen, was Ihr zusätzlich niederschreibt.«
Er nickte. Sie meinte den Anflug eines Lächelns auf seinen ausgedorrten Lippen zu erkennen.
»Es bringt Euch nicht mehr in Gefahr, als der Auftrag es ohnehin vermag. Dafür erfüllt es einen Wunsch des geliebten Bischofs, Friede seiner Seele. Denn mit dem winzigen Satz, der unterschlagen werden soll, den ich Euch jedoch für meine Fassung zu diktieren gedenke, wird es meinem Mann nicht mehr möglich sein, die Stadtherrschaft über Lübeck zu erringen. Er wird Albrecht von Orlamünde umsonst hinter Kerkermauern gebracht haben.« Ihre Augen funkelten.
Magnus verneigte sich. »Ich bin gleich zurück.«
»Da kommt mir noch etwas in den Sinn«, sagte sie, als er bereits an der Tür war.
»Ja?«
»Wir werden auch noch erwähnen, dass es Heinrich der Löwe war, der Lübeck gegründet hat.«
»Wenn ich es recht weiß, entspricht das wohl kaum der Wahrheit. Der Großvater Eures Gemahls, Adolf II ., war es, der hier die erste Burg anlegen ließ. Der Löwe hat sie ihm später nur abgenommen. War es nicht so?«
»Gewiss, so war es. Soweit ich allerdings weiß, hatten Barbarossa und der Löwe zwar ihre Zwistigkeiten miteinander, doch haben sie auch einiges füreinander getan. Warum wohl sollte Barbarossa ihn da nicht als
primus loci fundator
erwähnen und die lächerlich kurze Zeit davor mit dem Bau der Burg vergessen? Was entspricht schon der Wahrheit? Der Kaiser hätte gewiss seine Freude daran, meint Ihr nicht?«
»Es kommt nicht darauf an, was ich meine.« Nach einer kurzen Pause setzte er hinzu: »Jedoch meine ich, dass Ihr Eure Freude daran habt.«
Heilwig lächelte. »Meinem Mann jedenfalls würde die ganze Sache gar nicht schmecken. Ja, Ihr habt recht, ich habe meine Freude daran.« Ihr fiel noch etwas ein. »Und ich werde Euch morgen früh nach Lübeck begleiten.«
Er hob fragend die Brauen.
»Ich werde meinem Gemahl sagen, dass ich diesem Felding nicht traue. Was, wenn er ein doppeltes Spiel treibt und von den Lübeckern ein Sümmchen dafür verlangt, dass er Euch auflauern lässt? Ebenso, wie er dem Grafen das Vorhaben des Lübecker Stadtrates geflüstert hat, könnte er dem Rat flüstern, dass der Schauenburger Wind von der Sache bekommen hat und sie mit einer eigenen Ausfertigung der Schrift zu durchkreuzen gedenkt. Reise ich mit Euch, wird er das nicht wagen. Zumindest werde ich das meinem Mann weismachen. Außerdem war es schon länger mein Wunsch zu sehen, wie weit es mit dem Dom vorangegangen ist.« Zum ersten Mal an diesem unerfreulichen Tag strahlte sie über das ganze grün und blau geschlagene Gesicht. »Welch trefflicher Einfall! Ich werde meinen Gatten bitten, mir einige Mark Silber zu überlassen, die ich für den Dom spenden möchte. Immerhin glaubt er, bald Stadtherr zu sein. Die Lübecker werden ihn weniger hassen, wenn sie erfahren, dass er den Bau des Gotteshauses großzügig unterstützt hat. Diese Vorstellung wird ihm gefallen.« Und leise fügte sie hinzu: »Nur wird das schöne Geld nicht beim Dom ankommen, denn wir benötigen es für unseren kleinen Plan.«
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Lübeck, 10 . April 1226 – Reinhardt
D omherr Marold sah von seinem Schreibpult auf. »Ihr wünscht?«
Der Mann mit dem schmalen Gesicht und der auffallend spitzen langen Nase verneigte sich übertrieben tief. Er wurde von einem Kerl begleitet, der kein
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