Die unsichtbare Handschrift
auf der Tasche zu liegen.«
»Was redest du da nur?« Er schüttelte den Kopf, dass die roten Haare nur so wippten.
Sie bereitete ihm ein Stück Fleisch zu, das sie in seine Schale legte und mit Eintopf übergoss. Für sich selbst füllte sie nur etwas Eintopf auf.
»Ein Festmahl!«, sagte er erfreut. »Wieso gönnst du mir einen solchen Genuss?«
»Du weißt doch, dass ich gestern beim Hofbauern Fleisch bekommen habe. Das hält schließlich nicht ewig. Außerdem habe ich dir gestern, ohne es zu wollen freilich, einen so großen Schreck eingejagt, dass ich meine, du kannst etwas gebrauchen, das dich wieder auf die Beine bringt.« Sie zwang sich zu einem Lächeln.
»Das ist allerdings wahr«, stimmte er zu, griff mit einer Scheibe Brot nach dem Fleischbrocken und schlug seine Zähne hinein.
Während er gierig aß, löffelte Esther nur langsam ihre Schale leer. Gerade hatte sie noch gedacht, das köstliche Essen würde ihren Bruder gewiss in eine so prächtige Stimmung versetzen, dass sie ihn sogar überzeugen konnte, die Nacht außerhalb der Stadt verbringen zu dürfen. Im nächsten Augenblick war ihr jedoch in den Sinn gekommen, dass es auch für Kaspar zu gefährlich war, im Haus zu bleiben. Der Unhold mit dem schwarzen Umhang würde nicht lange fackeln. Und er würde kaum glauben, dass Kaspar mit der Angelegenheit nichts zu tun hatte. Sie musste ihn warnen, ihn einweihen. Es ging nicht anders.
»Die gefälschte Abschrift ist hier im Haus, und ich bin sicher, dass der Mann mit dem schwarzen Umhang mich verfolgt und gesehen hat, dass ich in ebendieses Haus gegangen bin«, schloss sie ihren Bericht.
Kaspar starrte sie an, als hätte sie mit einem Mal drei Augen im Gesicht. Sie hatte gewartet, bis er sich satt gegessen hatte, und das war gut so, denn sonst wäre ihm der Eintopf womöglich auf dem Löffel verdorben. Seit sie begonnen hatte ihm die ganze Geschichte zu erzählen, angefangen bei der Idee, die Vitus und sie gehabt hatten, bis hin zu der Erpressung durch Felding, der wusste, dass sie schreiben konnte, hatte Kaspar sich nicht mehr bewegt. Er hielt seinen Löffel etwa zwei Finger breit über der Holzschale, den Mund leicht geöffnet. Er kam vor lauter Erstaunen nicht einmal dazu, die Oberlippe einzusaugen, wie er es sonst zu tun pflegte.
»Wir sind hier nicht mehr sicher. Jedenfalls nicht so lange, bis das Pergament übergeben ist. Aber mach dir nur keine Sorgen, ich weiß einen Ort, an dem wir für eine Nacht unterkommen können.«
»Ich soll mir keine Sorgen machen?« Er erwachte aus seiner Starre. »Ein fremder Mann, den man anscheinend nicht gerade zu den ehrbaren Menschen zählen kann, weiß davon, dass meine Schwester, eine Frau von einfacher Herkunft, schreiben kann. Er verlangt von ihr, dass sie eine Urkunde des Kaisers Barbarossa fälscht, die dann Kaiser Friedrich II . vorgelegt werden soll.« Er schnappte nach Luft.
»Sie täuscht dabei die Schrift des Domherrn Marold vor«, ergänzte sie kleinlaut.
»O ja, das hatte ich beinahe vergessen. Sie schreibt nicht nur, nein, sie erdreistet sich auch noch, das so zu tun, dass Domherr Marold zur Rechenschaft gezogen wird, wenn alles auffliegt. Woher konntest du überhaupt wissen, wie dieser Herr schreibt? Nein, sag es nicht, ich will es lieber nicht wissen.« Er schüttelte den Kopf und starrte sie fassungslos an. Dann schien er zu überlegen. »Felding wusste von eurem Plan, bevor Vitus dich verlassen hat. Außer Vitus wusste nur Reinhardt davon. Nicht einmal deinem eigenen Bruder hast du etwas gesagt, aber Reinhardt wusste es«, schimpfte er.
»Ich bitte dich, Kaspar, nicht so laut! Ich wollte es auch Reinhardt nicht sagen, aber er hat mich nun einmal so gedrängt. Glaube mir, ich wollte dich nur schützen. Darum habe ich es für mich behalten.«
Sie saßen an dem schlichten Tisch, in der Feuerstelle knisterten die allmählich verlöschenden Flammen.
»Ich muss nachdenken«, sagte Kaspar und lutschte an seiner Oberlippe. »Vitus hat dich nicht verraten. Niemals. Dann bleibt nur Reinhardt.«
»Ich kann mir nicht vorstellen …«
»Wie sollte dieser Felding sonst davon erfahren haben?«
»Darüber denke ich ja auch schon die ganze Zeit nach. Ich wünschte, ich hätte eine Antwort.«
»Es war Reinhardt, es muss so sein«, beharrte er.
»Aber Felding sagte mir vorhin, als ich ihm auf der Gasse begegnet bin, er hätte gehofft, mich im Skriptorium anzutreffen, aber da sei nur ein Mann gewesen, der sich Reinhardt nennt. Spricht man so
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