Die unsichtbare Pyramide
leise hinzu: »Es gibt Neuigkeiten.«
»Was?«, flüsterte Trevir.
»Heute früh sind Kundschafter eingetroffen. Sie haben im Wald etwas entdeckt. Morgen wird das Schwarze Heer das Lager abbrechen und weiterziehen.«
»Zur Verbotenen Stadt?«
»Davon habe ich nichts gehört. Ist das Mologs Plan? Will er den letzten Ort erobern, der sich ihm nicht freiwillig ergibt?«
»Ich fürchte, er hat Schlimmeres vor, Dwina.« Er konnte die Empfindungen auf ihrem Gesicht ebenso deutlich erkennen, wie man auf einem stillen See das Spiegelbild dunkler Wolken erblickt.
»Wenn ich dir nur helfen könnte!«
Trevir streichelte lächelnd ihre Wange. »Aber das tust du doch, Dwina!«
»Es war dumm von mir, dir unredliche Beweggründe zu unterstellen.«
»Schon in Ordnung. Ein hübsches Mädchen wie du muss ab und zu seine Krallen zeigen, um allzu aufdringliche Verehrer abzuwehren.«
»Findest du mich wirklich hübsch?«
»Nein.«
»Du…!«
»Ich finde dich wunderschön.«
Dwina seufzte. »Ich mag dich, Trevir. Molog darf dir nichts tun.«
»So bald wird er das auch nicht.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein?«
»Denk daran, wie schnell er sonst dabei ist, jemandem den Kopf abzuschlagen. Ich habe meinen noch und werde sogar gut versorgt. Das bedeutet, er hat noch irgendetwas mit mir vor.«
Seit vier Tagen zog das Schwarze Heer nun schon durch den Kentish Weald. Wie ein riesiger Lindwurm schlängelte sich der Tross über die Pfade wilder Tiere, die klug genug waren, sich den Menschen nicht zu zeigen. Trevir genoss den Vorzug, ein eigenes Pferd reiten zu dürfen. Seine Hände blieben angekettet, die Füße dagegen wurden erst nach dem Aufsteigen unter dem Bauch des Tieres mit einem Strick zusammen- und bei jeder Rast wieder auseinander gebunden. Fast hieß er diese Verfahrensweise willkommen, weil er vor lauter innerer Anspannung am liebsten pausenlos gezappelt hätte. Der Scheitelpunkt seiner vierten Lebenswelle stand unmittelbar bevor.
Am Nachmittag traten die Bäume vor den Reitern unvermittelt auseinander und Trevir erblickte ein Meer aus Stein. Es war unglaublich! Nie zuvor hatte er so etwas gesehen.
»Die Stadt, die man die Verbotene nennt«, flüsterte er.
Der Tross war auf Mologs Befehl hin zum Stehen gekommen. Sie befanden sich auf einer kleinen Anhöhe, von der aus man tief in die Verbotene Stadt schauen konnte. Ihre Grenzen ließen sich weder im Osten, im Norden, noch im Süden erkennen: Wie ein gigantisches Gräberfeld erstreckten sich ihre Ruinen bis an den Horizont. Trostloser konnte man sich einen Ort kaum vorstellen. In der Ferne waren höhere Gebäude auszumachen: Türme, Paläste und eine gewaltige Kuppel, die, selbst auf diese Entfernung deutlich zu sehen, teilweise eingestürzt war.
Die Aufzählung von A. S. – Abacuck? – in seiner Schrift von den Immo- und automobilen Schwingungsknoten des Triversums ging Trevir durch den Sinn. Auch da war von einer »großen Kuppel« die Rede gewesen. »Dort wird es sich entscheiden«, murmelte er.
Molog gab Befehl, ein neues befestigtes Lager zu errichten. Offenbar rechnete er mit einem längeren Aufenthalt, denn diesmal ließ er für sich sogar ein Haus aus Baumstämmen errichten, sein kostbarer Gefangener bekam erneut die Fußeisen angelegt und wurde wieder in dem schwarzen Zelt versteckt. Nach Einbruch der Dunkelheit brachte ihm Dwina etwas Käse und Brot, dazu eine Schale mit Wasser.
»Wie geht es dir?«, fragte sie besorgt.
»Nicht gut.«
»Warum?«
»Ich glaube, mit mir wird bald etwas geschehen.«
»Und was?«
»Keine Ahnung. Es ist jedes Mal anders. Zuletzt war ich pitschnass.«
Dwina sah ihn mit gerunzelter Stirn an.
»Nicht, was du denkst«, sagte Trevir rasch. »Ich war wie frisch aus dem Meer gezogen, überall salziges Wasser.«
»Ach, du redest von Schweiß.«
»Nein. Es war… Ach, ich weiß selbst nicht was.«
»Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Ja, bring mich hier raus.«
»Ich fürchte, das übersteigt meine Möglichkeiten.«
»Irgendwas wird mir schon einfallen.«
»Was treibst du so lange da drin, Mädchen?«, rief der Wachtposten vor dem Zelt. Offenbar hatten die Aufpasser strengere Anweisungen erhalten.
»Ich komme schon!«, antwortete Dwina und gab Trevir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Wenn ich kann, schaue ich noch einmal vorbei.«
Nachdem sie das Zelt verlassen hatte, widmete sich Trevir seinem Nachtmahl und verfiel darüber erneut ins Grübeln. Er glaubte nicht, dass seine Widersacher ihn
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