Die unsichtbare Pyramide
einbringen als du, alter Kamelmann.«
Asfahan ließ seinen Gefangenen die gleiche Aufmerksamkeit angedeihen wie einer leicht verderblichen Ware. Er kam mindestens einmal täglich auf seinem Rappen zum Lager herübergeritten und überzeugte sich von ihrem marktgerechten Zustand. Dabei achtete er sorgfältig auf Qualitätsmängel: Gewichtsverlust, Verletzungen, Anzeichen beginnenden Wahn- oder auch Starrsinns. Aufkeimender Widerstand wurde geradezu verschwenderisch bekämpft – im Falle des irrenden Karawanenführers mit vierzig Stockhieben. Ansonsten beschränkte sich die Gastfreundschaft des stolzen Fürsten auf das Nötigste: Wasser, Fladenbrot, ab und zu etwas Kamelfleisch. Das erste Lasttier der entführten Karawane war bereits kurz nach der Ankunft im Zeltlager des Nomadenvolkes geschlachtet worden – die Teguar hatten keine sehr hohe Meinung von den glotzenden »Wüstenschiffen«.
Überhaupt waren die unter kargen Verhältnissen lebenden Sippen in ihren Zelten, die sich wie flache, große, unregelmäßig geformte Pilze in die hügelige Landschaft schmiegten, ein sehr stolzes Völkchen. Gegenüber Fremden zeigten sie sich ausschließlich mit ihren dunkelblauen Kopfbedeckungen, die zugleich als wirksamer Schutz gegen die Wüstensonne dienten. Die Männer schienen sich hoch zu Ross am wohlsten zu fühlen. Täglich maßen sie sich am Rand des Lagers in Reiterspielen. Besonders beliebt war das »Schockreiten«. Der Krieger stob im Sattel auf ein Hindernis zu – vorzugsweise einen der Gefangenen – und brachte sein Pferd erst kurz davor zum Stehen; der Mann am Boden erlitt dabei gewöhnlich einen Schock. Auch der »Wer-zuerst-blinzelt-hat-verloren-Ritt« erfreute sich großer Beliebtheit. Bei dieser Disziplin nahmen sich die Teguar selbst aufs Korn: Sie jagten im Galopp aufeinander zu und wer sein Ross zuerst ausweichen ließ, war der Verlierer – manchmal verloren auch beide…
Das Lager der Gefangenen befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Zelten der Entführer. Für die zukünftigen Sklaven gab es nur große Tücher, die, über Zeltstangen gespannt, wenigstens Schutz vor der Sonne boten. Den allgegenwärtigen Sand hielten sie jedoch nicht zurück. Topra hatte ständig das Gefühl, ein in Teig gewalzter Bratfisch zu sein.
Seit fünf Tagen beobachtete er nun schon das Geschehen im Lager und in seiner näheren Umgebung. Zweimal brachten die Teguar neue Gefangene. Offensichtlich sammelten sie zunächst ihre lebende Beute, bevor sie dann zum Sklavenmarkt aufbrachen. Hauptabnehmer der Ware Mensch war, wie allgemein bekannt, Baqat. Die Industrie der Supermacht lebte von der Ausbeutung. Gerechtfertigt wurde dieses jedem menschlichen Sittlichkeitsempfinden hohnsprechende Verhalten mit Floskeln wie »im freien Wettbewerb überlebt nur der Stärkste« oder »die Götter stehen auf unserer Seite; was wir tun, geschieht allein von ihren Gnaden und zu ihrem Ruhm«.
Während Topra an diesem Morgen unter dem Sonnendach auf einer Kiste saß und über den schwankenden Kurs ethischer Werte nachsann, entstand plötzlich Unruhe im Nomadenlager.
In dessen Zentrum stand ein besonders großes Zelt – es erfüllte die Funktion eines Palastes. Aus diesem kam eine Zeter und Mordio schreiende Gruppe, die im Kern aus verschleierten Frauen und an ihrer Peripherie aus Kindern bestand. Es sah so aus, als beklage man ein großes Unglück. Die Nachricht von selbigem wurde zum zweitgrößten Zelt getragen und dort lautstark aufgenommen. In gewachsener Stärke machte sich die lärmende Gemeinschaft dann zum nächstkleineren Zelt auf und infizierte auch dieses mit dem Jammern. So ging es weiter, bis das ganze Lager angesteckt war.
Zuletzt bekamen die stolzen Reiter von der Sache Wind; sie waren gerade schwer beschäftigt mit einem Wer-zuerst-blinzelt-hat-verloren-Wettbewerb. Topra konnte sehen, wie Asfahan hoch zu Ross inmitten der schreienden Menge hier- und dorthin zeigte, woraufhin seine berittenen Untertanen ausschwärmten. Nach etwa einer Stunde hatte sich die Situation im Lager noch nicht nennenswert entspannt. Aus dem Schreien war nun zwar ein Greinen und Wimmern geworden, aber das hatte wohl eher mit Erschöpfung zu tun. Topra beobachtete, wie der Fürst vor sein Palastzelt trat, sich auf seinen Rappen schwang und zum Gefangenenlager herübergaloppiert kam. Vor dem Sonnendach, unter dem Topra das ganze Geschehen verfolgt hatte, stieg er vom Pferd. Das verdiente insofern Beachtung, als er seine Inspektionen
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