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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Direktflug von Peking nach Kairo bekommen können.
    »Du hast mir immer noch nicht verraten, was dich plötzlich so zuversichtlich macht, die Kammer des Wissens zu finden. Ich habe einiges über sie gelesen. Schon viele haben die Suche nach ihr mit großen Erwartungen begonnen und sind am Ende kläglich gescheitert.«
    Vicente grinste schief. »O ja! Ich gehöre auch dazu. Mit meinen seismischen Messungen konnte ich eine Reihe von Hohlräumen unter der Großen Sphinx von Giseh nachweisen. Aber leider hat eine amerikanische Expedition vor etwa zwanzig Jahren dort mit gewaltigen Bohrmaschinen ziemlich gewütet und die ägyptische Regierung verbot hierauf jegliche Sprengungen und Bohrungen, um das Denkmal nicht zu zerstören. Danach haben die Franzosen versucht, die Lage der Kammer mit Dichtigkeitsmessgeräten zu ermitteln, die Deutschen fahndeten mit Minirobotern in der benachbarten Cheopspyramide und andere rückten dem Erdreich unter den Monumenten mit Ultraschall zu Leibe…«
    »Und warum erkühnt sich ein eigenbrötlerischer Archäologe namens Vicente Alvarez ausgerechnet jetzt, die Halle der Aufzeichnungen zu entdecken? Wir haben doch nicht mehr als ein weiteres Artefakt, das von Imhotep, dem Buch der Weisheiten und vom Land der künstlichen Berge spricht.«
    »Ich kann dir sagen, warum ich mit einem Mal so optimistisch bin, Bruderherz. Weil ich dich bei mir habe. Wie du die Schrifttafel in der Höhle gefunden hast…« Vicente schüttelte den Kopf. »Das war im wahrsten Sinne des Wortes phänomenal.«
    »Vielleicht gibt es ja gar keine Kammer des Wissens.«
    »Das sagst du nur, weil du nicht willst, dass es sie gibt. Mir wurde in Berlin eine Sammlung von Dokumenten aus dem Mittleren Reich gezeigt, zu der ein bemerkenswerter Papyrus zählt. Er berichtet davon, dass bereits Cheops nach dem sagenhaften Hort des Wissens suchte. Der Pharao befragte einen Zauberer nach dem Schlüssel zum Heiligtum des Thot. In der Schrift wird von einer geheimnisvollen Kammer erzählt…«
    »Und diverse Sargtexte behaupten, Ptah habe die Welt erschaffen, indem er seine Gedanken in Worte kleidete«, unterbrach Francisco barsch seinen Bruder. »Nimmst du etwa alles für bare Münze, was die Hieroglyphen erzählen?«
    »Vielleicht kam die Welt, wie wir sie heute kennen, tatsächlich so ins Dasein.«
    »Ich weigere mich zu glauben, was du da sagst.«
    »Weil du verbohrt bist, Francisco. Dabei heißt es doch sogar im Johannesevangelium: ›Im Anfang war das Wort.‹ Und: ›Alles wurde durch das Wort erschaffen; und ohne das Wort ist nichts entstanden.‹ Ich kann da keinen großen Unterschied zu den Schöpfungsmythen der Ägypter erkennen.«
    »Ja, weil du der Trotzkopf bist und dir die Fakten so hindrehst, wie du sie gerade brauchst. Im Hebräerbrief des Paulus steht, Moses sei ›in aller Weisheit der Ägypter unterwiesen‹ worden. Hätte er dann nicht in der Genesis schreiben müssen, der Sonnengott Re habe den Menschen aus seinen Tränen gebildet? Stattdessen notiert Moses schlicht, Adam sei ›aus Staub vom Erdboden‹ gemacht. Heute wissen wir, dass die in unserem Körper vorkommenden Elemente und chemischen Verbindungen in der Erdkruste zu finden sind. Nun sage mir, du neunmalkluger Gelehrter, woher, wenn nicht von Gott, bezog Moses seine Einsichten, die sich – anders als die Mythen der Ägypter – so genau mit den modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen decken?«
    Vicente grinste frech. »Vielleicht aus der Kammer des Wissens?«
    Francisco schnaubte etwas Unverständliches und wandte sich demonstrativ von seinem Bruder ab. Stärker denn je neigte er dazu, ihre Partnerschaft bei nächster Gelegenheit zu beenden. Er könnte die Zwischenlandung in Paris nutzen, um sich von Vicente zu trennen.
    Bis die Brüder den Schalter der Grenzkontrolle erreichten, wechselten sie kein Wort mehr miteinander. Obwohl sie nicht gerade wie zwei chinesische Emigranten aussahen, die ohne Ausreisegenehmigung ihre Heimat zu verlassen gedachten, wurden ihre Visa und sonstigen Papiere akribisch geprüft. Anschließend kam ihr Gepäck an die Reihe. Es konnte ja sein, dass die Ausländer einige der letzten alten Kunstschätze des Landes entführen wollten. Gewohnheitsmäßig schob Vicente seinen Bruder vor – er hatte einmal behauptet, Franciscos Gesicht sehe dermaßen ehrlich aus, dass die Zöllner sogar noch die nächsten drei oder vier Reisenden unkontrolliert passieren ließen. Die chinesische Beamtin schien diesen Trick jedoch schon zu kennen.

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