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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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eine verwitterte runde Plakette. Er drehte sie mit der Spitze von Aluuins Stab um. Auf der Vorderseite des Schilds standen übereinander zwei runenartige Zeichen.
    »VW«, flüsterte er. »Was könnte das bedeuten?«
    »Ist vielleicht ein Amulett, um die Benutzer der Kutsche vor bösen Geistern zu schützen.«
    »Wäre denkbar.« Trevir nickte.
    »Ich finde es hier irgendwie unheimlich. Lass uns weitergehen«, bettelte Dwina.
    Der Hüter des Gleichgewichts reagierte nicht. Er wühlte gerade in seinem Gedächtnisarchiv nach Abacucks wegweisendem Aufsatz. »Glaubst du, es wäre möglich, eine Kutsche zu bauen, die ihre Pferde in sich trägt? Ein Automobil?«
    »Unsinn. Wie soll das gehen?« Skeptisch blickte Dwina in das rostige Loch im vorderen Bereich der Kutsche. Sie konnte keine Pferde sehen, nicht einmal deren Skelette. Aber: »Da ist eine kleine Tafel aus silbernem Metall.«
    »Und? Was steht drauf?«
    »Eine Menge Zahlen und Buchstaben. Keine Ahnung, was die bedeuten… Moment! Da ganz unten steht: ›Made in Germany‹.«
    Trevir entsann sich des Ortsschildes, das sie an der Stadtgrenze gesehen hatten. »Könnte der Name einer anderen Provinz des römischen Imperiums gewesen sein. Vielleicht wurde das Automobil dort gebaut.«
    »Vorausgesetzt du hast mit deiner verrückten Idee Recht. Wenn das jetzt geklärt ist, können wir dann endlich weitergehen?« Allmählich verlor Dwina die Geduld.
    »Gleich. Mir ist übrigens auch mulmig zumute, falls dich das tröstet, aber ich muss diese halb eingestürzte Kuppel finden, die vom Stadtrand aus zu sehen war. Vermutlich ist es dieselbe, die der Ordensgründer des Dreierbunds als einen der ›immobilen Schwingungsknoten des Triversums‹ bezeichnet hat.«
    Dwina stemmte die Hände in die Seiten. »Und was heißt das?«
    »Wahrscheinlich wird Molog die Kuppel aufsuchen, um das zu tun, worüber…« – Trevir schluckte – »Cord von Lizard kurz vor seinem Tod gesprochen hat.«
    Der Name des verlorenen Freundes schwemmte Ungeduld und Ängste aus Dwinas Bewusstsein fort. »Der Herr Cord sagte, Molog will das Triversum zusammenketten.«
    »Ja, und dies jagt mir eine Riesenangst ein, weil es dadurch außer Balance geraten könnte. Mein Lehrmeister hat mich ausdrücklich davor gewarnt.«
    »Du hast zwar heute Nacht versucht, mir diese Sache mit dem Gleichgewicht zu erklären, aber irgendwie übersteigt das meinen Horizont. Wenn die drei Welten sich berühren und dann zusammengekettet werden – warum soll sie das zum Wanken bringen?«
    »Weißt du, was ein Kreisel ist, Dwina?«
    »Natürlich. Ich war schließlich auch mal ein Kind.«
    »Hast du je versucht, so einen Tanzknopf auf die Spitze zu stellen, ohne ihn vorher in Drehung zu versetzen?«
    »Wozu? Nur, um das Ding gleich wieder umkippen zu sehen? Ist doch zwecklos.«
    Trevir lächelte. »Eben.«
    Dwina hob die Augenbrauen. »Jetzt verstehe ich! Die Drehung hält den Kreisel in einer stabilen Lage. Nur solange er sich bewegt, bleibt er im Gleichgewicht.«
    »Jetzt hast du’s begriffen. Schau dich um. Diese Stadt muss einmal ein Wunder gewesen sein, fortschrittlicher, als wir es uns überhaupt vorstellen können. Aber die klügsten Wissenschaftler und die beste Technik schützen nicht vor den Fehlern sittlicher und moralischer Verkommenheit. Ich weiß nicht, ob Machtgier oder Vermessenheit das hier angerichtet haben, aber es war gewiss kein Versehen. Aluuin meinte, die Menschen hätten sich in ihrem Hochmut für allwissend gehalten.«
    »Molog ist auch nicht gerade ein Ausbund an Bescheidenheit.«
    »Ja, und seine brutale Gewalt lässt mich schaudern. Um sich das Triversum zu unterwerfen, ist ihm jedes Mittel recht. Aber eine hochgeworfene Münze fällt nicht immer mit derselben Seite in die Hand zurück. Ebenso wenig kann die Menschheit allein auf ihr Glück vertrauen. Was einmal abgewendet werden konnte, mag beim nächsten Mal in einer Katastrophe enden. Wir müssen den Mann aufhalten, Dwina. Deshalb will ich genau wissen, was hier passiert ist.«
    »Es wird bald dunkel. Was hältst du davon, wenn wir uns ein windgeschütztes Plätzchen suchen und dort weitergrübeln?« Dwinas Stimme klang nun wieder sanft.
    Trevir nickte und streckte ihr die Hand entgegen.
    Wie schon seit dem Morgen durchquerten sie weiter die Ruinen der Verbotenen Stadt, die ein Schild an ihrer mauerlosen Grenze »London« genannt hatte. Die Trümmer der eingefallenen Häuser waren nie von den Straßen geräumt worden, weshalb die beiden Wanderer sich

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