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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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verdankte. »Werf die Maschine an und lass uns hier verschwinden. Wie weit ist es bis zur lemurischen Küste?«
    »Etwa sechs Seemeilen.« Sabri grinste. »Aber die Untiefen fangen schon nach ungefähr drei an.«
    »Dann nichts wie los!« Jobax wandte sich Topra zu, der wie sein Vater längst aufs Hauptdeck gesprungen war. »Du legst auf der Brücke inzwischen die Karten von der Nordwestküste Lemurs bereit. Ich muss noch ein paar Anweisungen geben und komme gleich nach.«
    Der Schiffsjunge nickte und verschwand.
    Jobax erteilte den Befehl zum Einholen der Segel. Bei dem strikten Westkurs, den die Tanhir nun lief, wären sie nur hinderlich. Das Gleiche traf auf die Camouflage zu. Der Kapitän ließ von seinen Männern kurzerhand das Bambusgestänge mit Entermessern dicht über den Halterungen kappen, worauf die kunstvolle Maske aus Bambus und schwarzem Segeltuch ins Wasser glitt.
    Als Topra auf die Brücke stürmte, hatte der Steuermann gerade den Startknopf an seinem hölzernen Kontrollpult gedrückt. Das Wasserstoffaggregat im Maschinenraum sprang augenblicklich an. Es klang eher nach einer Turbine denn nach einem großvolumigen Motor. Die Schiffsschraube setzte sich in Bewegung. Wenig später beschleunigte die Dhau fast wie ein richtiger Gepard. Das Rennen hatte begonnen.
    Auf offener See konnte die Tanhir trotz aller versteckter Finessen gegen einen baqatischen Zerstörer wenig ausrichten. Doch in küstennahen Gewässern besaß sie einen wesentlichen Vorteil: Dhauen hatten einen geringen Tiefgang. Sogar auf die hochseetüchtige Tanhir traf das noch zu, obwohl sie natürlich mehr Wasser verdrängte als ihre leichteren Schwestern, die ausschließlich auf Süßwasserseen oder dem Nil verkehrten. Mehr als einmal hatte Jobax diesen Vorzug für sich nutzen können. Warum sollte es nicht wieder gelingen?
    »Das Walross holt schnell auf«, meldete Sabri wenig später.
    »Ich sehe es«, brummte Jobax, der inzwischen neben dem Steuermann stand.
    »Kann ich irgendwas helfen?«, fragte Topra aus dem Hintergrund.
    »Ja, fang schon mal an für uns zu beten.«
    »Sieht es so schlimm aus?«
    »Schlimm genug.« Jobax drehte sich zum Tisch um, beugte sich darüber und zeigte Topra einen unübersichtlichen Küstenstrich. »Da gibt es einige nette Untiefen. Wir könnten den Zerstörer vielleicht abhängen und uns zwischen den Inselchen hier verstecken.«
    »Wird uns das gelingen?«
    Der Kapitän richtete sich wieder auf. »Dir wohnt eine Kraft inne, die dich schon oft aus höchster Gefahr gerettet hat. Das wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, in dich hineinzuhorchen, um dort die Antwort auf deine Frage zu finden.«
    Der Rat war ernst gemeint, Topra spürte das. Ein offener Appell an sein Verantwortungsgefühl hätte kaum deutlicher ausfallen können. Das verwirrte ihn. Die Männer der Tanhir hatten ihm zwar nie einen Vorwurf gemacht, aber trug er nicht tatsächlich die Schuld an den Jahren ihrer Verbannung von den heimatlichen Gestaden? Und nun geriet seinetwegen sogar ihr Leben in Gefahr.
    Während der Kapitän sich wieder neben den Steuermann stellte, starrte der Schiffsjunge benommen auf die Seekarte; von den Buchten und Inseln auf dem Papier nahm er nichts wahr. Was sollte er nur tun? Ihm war kein Startknopf gegeben, mit dem er diesen blauen Glanz wiedererwecken konnte, der ihn und seinen Vater vor genau dreieinhalb Jahren gerettet hatte. Verzweifelt schloss Topra die Augen und wünschte sich einen Maschinenschaden an Bord des Zerstörers. Der anschließende Blick auf den Radarschirm und die Kontrollanzeigen verriet ihm, dass es diesmal nicht klappte. Das Kriegsschiff holte weiter auf.
    Mit einem Mal hatte Topra eine Idee. In Windeseile verließ er die Brücke, lief zum Niedergang und verschwand unter Deck. Kurz darauf kehrte er wieder zurück, mit einem großen Schwert auf dem Rücken. Es steckte in einer Scheide aus gepunztem Leder – ein Geschenk seines Vaters aus Karroo.
    »Was willst du denn damit?«, rief Jobax durch das Fenster der Brücke.
    Topra hob die Schultern. »Ich weiß nicht. In Lamu hat es uns doch auch gerettet.«
    Kurz blieb die Miene des Kapitäns unbewegt, aber dann lächelte er und nickte.
    »Land in Sicht!«, rief Sabri gleich darauf und deutete nach vorne.
    Topra fuhr herum und spähte über den Bug des Schiffes. Endlich! Die Tanhir lief direkt auf eine Insel zu. Er beugte sich backbords über die Reling und blickte nach achtern. Der Zerstörer hob sich als dunkler Schattenriss vor der blutroten Sonne ab.

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