Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
ineinander. Ich warf einen Blick auf den Boden und sah zwei parallele Blutspuren. Über unseren Köpfen bewegte sich die menschliche Prozession weiter vorwärts, sie war unmöglich aufzuhalten. Solara ruhte sich aus und lehnte sich an meinen Körper, da sie nicht mehr genügend Kraft hatte, es nicht zu tun. Ich spürte, wie mein Körper nach rechts rutschte, und so lagen wir schließlich auf dem Boden. Solara lag auf mir und sah zu, wie sich unser Blut mischte und sich unter dem Schmutz sammelte. Sie küsste mein blutiges Ohr.
»Das hier kannst nur du hören«, flüsterte sie. »Das hier gehört nur uns, und niemand sonst wird es je herausfinden.«
»Okay.«
»Du hast mich nicht im Stich gelassen, John. Du hattest recht. Sie können uns nichts anhaben. Ich war auf der Suche nach dem richtigen Mann, um das hier zu tun. Du bist ein guter Mann dafür. Jetzt wird alles gut. Ich werde dich nicht verlassen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Du musst gehen. Du musst vor mir davonlaufen.«
»Nein, ich bin am Ende angelangt.«
»Nein, das bist du nicht«, erklärte ich. »Wenn du eine Chance hast, weiterzukommen, dann ergreife sie. Lebe weiter. So funktioniert das. Denn du weißt nicht, was noch kommen wird.«
Sie begann zu weinen. Sie klang, als wollte sie schlafen und niemals wieder gestört werden. »Ich möchte es gar nicht mehr wissen.«
»Mein Gott, ich hätte nie gedacht, dass du noch kommen würdest, Solara. Und das macht dich so verdammt perfekt. Bitte, Solara. Du musst gehen.«
»Nein.«
»Bitte. In den letzten neunundachtzig Jahren waren diese vier Tage das Einzige, was ich richtig gemacht habe. Lass nicht zu, dass alles umsonst war.«
Sie seufzte und nickte zustimmend. Ein Arzt kam und blieb vor ihren Füßen stehen. Er überprüfte ihre Werte und erklärte dann: »Ich denke, wir können Ihnen helfen, Mrs. Farrell.« Er machte einen Schritt zur Seite. Ich küsste sie ein letztes Mal.
»Ich liebe dich, Solara.«
Sie vergrub ihren Kopf in meinem Nacken. »Es fühlt sich so neu an, wenn du es sagst.«
Dann schleppte sie der Arzt fort, und sie versuchte nicht, sich ihm zu widersetzen. Ich drehte mich um und sah, wie sie im Flur verschwand. Ich nahm all meine Kraft zusammen, um mir eine perfekte Zukunft für sie und ihr Kind vorzustellen – eine Zukunft, von der ich wusste, dass sie nicht existieren konnte. Doch ich sah sie dennoch vor mir. Ich sah die wunderbaren Dinge, die wir alle sehen wollen, wenn wir uns zum ersten Mal auf den Weg machen. Ich sah sie, und die Verheißung war alles, was ich brauchte. Sie war makellos und würde es immer bleiben.
Der Boden bebte ein drittes Mal.
Ich habe einmal einen Reisenden kennengelernt, der mir erklärt hat, dass er so lange leben würde, bis er das Ende der Welt sah. Er breitete alle seine Vitaminpillen vor mir aus und erklärte mir, dass er sieben Stunden am Tag schlafen würde. Nicht mehr und nicht weniger. »Alles Leben, das du haben möchtest«, sagte er. »Es liegt alles in deiner Hand.« Er sagte, dass er alle Kriege und alle Krankheiten überleben würde. Dass er lange genug hier sein würde, um alles zu erleben und alles wieder zu vergessen. Er würde der letzte Mensch sein, der noch hier war, wenn die Sonne schließlich auf die Erde fiel und die Geschichte endete. Er meinte, er hätte den sichersten Platz auf dieser Welt gefunden, wo er bleiben konnte, bis sich das Tor in eine andere Welt für ihn öffnete. Tausend Generationen vom heutigen Tag an. Ich stellte ihn mir dort vor, auf dem Gipfel eines weit entfernten, schneebedeckten Berges. Der Himmel öffnet sich und Gott dankt ihm für seine Beharrlichkeit. ER fragt ihn, ob er IHM Gesellschaft leisten wolle und mit IHM gemeinsam zusehen, wie die Sonne zu einem dumpfen, orangefarbenen Stück Kohle verglüht und alles um sie herum aus der Umlaufbahn gerät und durch das Universum taumelt. Einfach forttaumelt. Alles, das einmal unendlich schien, wird mühelos auseinandergerissen wie ein Zwirnballen. Ein Leben wird zur Göttlichkeit.
Aber ich wusste, dass es eine Lüge war. Es war immer eine Lüge gewesen. Man kann sich nicht vor der Welt verstecken. Sie wird einen finden. Das tut sie immer.
Und nun hat sie mich gefunden. Mein Wimpernschlag der Unsterblichkeit ist vorüber. Alles, was nun noch übrig ist, ist das Ende, und das ist alles, was jedem von uns jemals bleibt. Die Batterie meines WEPS wird langsam leer. Ich habe eine Spritze mit Natriumfluoracetat in der Hand. Ich verspüre keine
Weitere Kostenlose Bücher