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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Drew Magary
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Die Schwester drehte sich um und verneinte meine Frage.
    Sie schoben meine Frau in ein leeres Zimmer mit nur einem Bett. Das war ebenfalls ungewöhnlich. Üblicherweise bekam man kein Aufwachzimmer für sich allein. Plötzlich wollte ich meinen Sohn unbedingt wiedersehen. Ich fragte die Schwester nach seinem Aufenthaltsort, damit ich ihn holen und zu meiner Frau bringen konnte. Sie versicherte mir, dass er schon bald da sein würde.
    Doch er kam nicht. Meine Frau und ich waren gezwungen, beinahe vier Stunden in einem leeren Zimmer auszuharren. Sie hatte während der Geburt viel Blut verloren, und nun sank ihr Blutdruck. Ich wurde nervös und schrie immer wieder nach der Krankenschwester, die uns versichert hatte, dass unser Sohn bald wiederkommen würde. Nachdem eine andere Schwester den Blutdruck meiner Frau wieder stabilisiert hatte und sie wieder zu Kräften kam, wagte ich mich hinaus in den Korridor und fragte jeden, der mir in die Quere kam, wo die Blutuntersuchungen durchgeführt wurden. Keiner der Angestellten gab mir eine Antwort. Ich hörte noch mehr Schreie aus den anderen Zimmern dringen. Ich ging zum Empfang und wollte wissen, was hier vor sich ging. Einer der Polizisten sah, wie verärgert ich war, und kam auf mich zu.
    »Sie müssen sich beruhigen«, sagte er. »Es ist nicht gerade vernünftig, hier herumzuschreien.«
    »Aber niemand will mir sagen, was hier vor sich geht oder wo mein Sohn ist.«
    »Ihr Sohn wird bald bei Ihnen sein.«
    Und er hatte recht. Die Haupteingangstüren hinter ihm öffneten sich, und ich sah, wie eine Krankenschwester meinen Sohn hereinschob. Ich ging sofort zu ihm, nahm ihn zu mir und küsste ihn überall. Ich war so erleichtert – ich kann es dir gar nicht sagen. Die reinste Freude.
    Sie hatten ihn in eine Krankenhausdecke gewickelt. Ich wollte ihn nicht auswickeln, damit ihm nicht kalt wurde. Also hielt ich ihn fest an meine Brust gedrückt, während die Krankenschwester und der Polizist mein Krankenhausarmband überprüften, um festzustellen, ob ich auch der Vater des Kindes war.
    Während ich meinen Sohn an mich drückte, sah ich etwas durch einen Spalt in der Decke. Seine linke Hand ragte ein wenig heraus, also wollte ich sie wieder zurückstecken. Da sah ich es.
    Unter seiner Hand, fünf Zentimeter über seinem Handgelenk stand etwas. Ich zog seinen Arm heraus, um es mir anzusehen. Es war sein Geburtsdatum. Es stand auf der Innenseite seines Arms.
    »Warum haben sie es ihm auf den Arm geschrieben?«, fragte ich verärgert. »Sein Geburtsdatum steht doch bereits auf seinem Fußbändchen.« Ich nahm die Decke und versuchte, die Zahlen zu entfernen, doch sie ließen sich nicht verwischen. Ich verstand sofort: Sie hatten ihm sein Geburtsdatum nicht bloß auf den Arm geschrieben. Sie hatten es tätowiert. Während meine Frau und ich darauf gewartet hatten, dass unser Sohn »Routineimpfungen und Blutuntersuchungen« bekam, hatten sie ihm ein unauslöschliches Brandzeichen verpasst. Ich sah die Krankenschwester und den Polizisten an, die mich ihrerseits voller Mitgefühl ansahen.
    »Es tut uns leid«, sagte der Polizist. »Diese Richtlinie wurde gerade vom Ministerium für Eindämmungspolitik erlassen.«
    »Ministerium für Eindämmungspolitik?«, fragte ich. »Was soll das sein?«
    »Das wissen wir nicht.«
    »Warum machen sie das?«
    »Das wissen wir nicht.«
    Ich hörte noch mehr Schreie aus den anderen Zimmern dringen, und mir wurde bewusst, dass ich bloß der letzte Vater war, der die Wahrheit über sein Kind erfahren hatte.
    Ich starrte den Korridor hinunter zu dem Zimmer meiner Frau. Sie wusste noch nicht, was geschehen war. Ich fühlte mich so beschissen. Da war sie und wartete so sehnsüchtig darauf, ihren Sohn zu sehen. Doch sie würde keine Erleichterung erfahren, wenn ich ihn erst durch die Tür getragen hatte. Sie würde sehen, was sie ihm angetan hatten, und sie würde wie die anderen jungen Mütter anfangen zu schreien. Ich begann zu weinen. Ich drückte meinen Sohn fest an meine Brust und erklärte ihm, dass alles gut werden würde. Es war bloß sein Geburtstag, den sie ihm eintätowiert hatten, nichts Schlimmeres.
    Ich trug ihn zum Zimmer meiner Frau und trat durch die Tür. Sie konnte an meinen Augen sehen, dass etwas Furchtbares geschehen war, und begann zu weinen. Ich glaube, dass sie vermutlich dachte, dass unser Sohn einen Geburtsfehler hatte oder bei der Geburt verletzt worden war. Ich gab ihn ihr und entblößte die Stelle, an der sie ihn tätowiert

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