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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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Pompösen, und mit ihrer gewaltigen Körpermasse konnte sie so lautstark auftreten wie der Chor in einem griechischen Drama.
    »Ich denke hier mehr an Vater«, sagte Thomas Brenner und verstärkte den Griff um die Hand der Tochter. »Er ist völlig verunsichert, und sobald er dich sieht, wird ihm der Ernst der Situation bewußt werden. Es ist etwas anderes, wenn ich mal eben vorbeikomme.«
    Annika schnaubte. »So naiv ist keiner von beiden«, sagte sie. »Aber wenn du mich absolut nicht dabeihaben willst, bleibe ich eben so weit weg wie möglich.«
    »Papa hat es nicht so gemeint«, sagte Elisabeth Dahldiplomatisch mit einem eindringlichen Blick auf die Tochter.
    »Woher weißt du, was er meinte?« schmollte sie.
    »In Ordnung«, sagte Thomas Brenner. »Wir reden nicht mehr darüber. Natürlich kannst du gerne mit dabeisein. Es ist rührend von dir, soviel Hilfsbereitschaft zu zeigen. Du kannst zum Pflegeheim mitfahren, und anschließend kannst du dabei helfen, ihr Zimmer wohnlich zu gestalten.«
    »Gut«, sagte sie unbestimmt. Er hatte ihren empfindlichen Punkt getroffen, das war ihm klar. Mit praktischen Dingen hatte sie sich seit langem nicht mehr befaßt. Bilder an die Wand zu hängen oder Unterwäsche in eine Schublade zu legen war das letzte, was sie sich vorstellen konnte. Er rechnete damit, daß sie nach ein paar Gläsern Rotwein im Mother India die ganze Sache vergessen haben würde.
     
    Sie stiegen in Majorstuen aus, obwohl es von hier aus weiter war als von Nationaltheatret, aber so konnten sie zum Bogstadveien mit all seinen Schaufenstern hinunterschlendern. Annika ging zwischen ihnen wie damals, als sie klein war. Sie schien intuitiv diesen Platz zu beanspruchen, obwohl Thomas Brenner an diesem Abend gerne den Arm um Elisabeth gelegt hätte.
    Er legte den Arm um die Tochter. Sie war fast genauso groß wie er, und sie legte sofort den Kopf an seine Schulter, lachend, als seien sie ein verliebtes Paar. Er merkte, daß ihr Haar muffig roch. Elisabeth schickte ihm hinter dem Rücken der Tochter ein etwas wehmütiges Lächeln. Die unablässige, gemeinsame Sorge zweier Eltern, die nicht wußten, was sie tun sollten, um ihrem Kind zu helfen.
    Doch kaum waren sie im Bogstadveien mit den vielen Kleidergeschäften, riß sich Annika von Thomas los undsteckte dafür die Hand unter den Arm der Mutter. Jetzt waren sie plötzlich zwei Freundinnen, die gemeinsam die neue Mode sehen wollten. Völlig hoffnungslos, dachte Thomas Brenner, es gab in diesen Schaufenstern keine Kleidungsstücke, die Annika passen würden. Trotzdem war es Annika, die stehenblieb und deutete. Sie fixierte mit sicherem Modegeschmack Modelle, von denen sie annahm, daß sie der Mutter gefielen. Dafür hatte sie einen Blick. Elisabeth Dahl nickte auch zu allen Vorschlägen der Tochter. Gewiß, dieser Mantel hatte etwas, ebenso das Wollkleid oder die Stiefel. Aber nun mußte ja Elisabeth ihrerseits mit Vorschlägen kommen, und das war undenkbar. Weder Mantel noch Kleid kamen in Frage, Annika war für alles zu dick. Die Schuhe könnten eventuell passen.
    Sie blieben also stehen und musterten mehrere Minuten lang die Schuhe. Thomas stand unauffällig hinter ihnen und betrachtete seine Tochter, ihre Unförmigkeit, das riesige Wollzelt, das sie als Mantel benutzte, das fettige, ungewaschene Haar.
    Wenn er nur wüßte, was sie zu dem gemacht hatte, was sie war. Manchmal dachte er, es müsse etwas schiefgelaufen sein, weil weder er noch Elisabeth es geschafft hatten, ihre Töchter zu selbständigen Menschen zu erziehen. Irgend etwas hatten sie offensichtlich nicht begriffen, dachte er. Die meisten anderen Eltern bekamen doch Kinder, die ihren eigenen Weg gingen, sich einen Job suchten und ihre Miete selbst bezahlten. Manchmal sprach er mit Elisabeth darüber, aber da drehte sie den Spieß um, verwies auf ihn und sich selbst. Waren sie beide etwa nicht abhängig vom Vermögen ihrer Eltern? Wohnten sie etwa nicht im Dahl-Haus, weil sie von ihren Eltern eine ansehnliche finanzielle Unterstützung bekommen hatten?
    Er zog sich bei solchen Diskussionen schnell zurück.Jetzt stand er stumm da und hörte zu, was Elisabeth und Annika sagten. Die Tochter hatte etwas entdeckt, von dem sie aus unerfindlichen Gründen glaubte, es könne ihr passen. Sie standen vor Garbo, dem teuersten Kleiderladen, und betrachteten ein koksgraues Kostüm, das einer spindeldürren Schaufensterpuppe wie angegossen paßte.
    »Das könnte etwas für mich sein!« sagte Annika begeistert.

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