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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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resigniert, als sie bei Telenor aufhörte. Sie hatte eingesehen, daß es ihr zuviel wurde, daß sie nicht mehr in erster Linie an sich selbst denken konnte. Aber die Alten? Sie kämpften ständig darum, alle Privilegien der Jugend zu behalten: Autofahren, ins Kino oder Theater gehen, im Restaurant speisen. Nicht nur einmal hatte Thomas im stockdunklen Theatersaal Gordon Brenner durch die Sitzreihe zur Toilette begleiten müssen, mitten in einem Stück von Ibsen oder Molière. Nicht nur einmal hatte er miterlebt, wie lebensgefährlich der Vater mit dem Auto vom Holmenkollen hinunter in die Stadt kurvte. Trotzdem hatte er sich geweigert, den Führerschein abzugeben. Was mußte geschehen, um sich dem Alter zu ergeben und mit dem Leben abzuschließen? Das Psychologische war ausschlaggebend: Wenn man resignierte und nicht mehr leben wollte, würde der Tod schneller kommen, darüber gab es wissenschaftliche Untersuchungen.
    Aber selbst wenn Tulla jetzt einen Schlaganfall gehabt haben sollte, würde sie sich zurückkämpfen ins Leben, davon war er überzeugt. Sie würde die Eifrigste in der Reha sein, besessen von dem Gedanken, zu leben mit der Hilfe von Physiotherapeuten und anderen Spezialisten, die ihre Lebensqualität verbessern konnten. Dieser Unterschied zwischen der armen und der reichen Welt, auf den Elisabeth immer hingewiesen hatte, war grotesk. Als sei es ein Menschenrecht, bis zum letzten Tag seines Lebens alle Freiheiten zu haben.
    Thomas Brenner stand an der Festtafel und sah, wie sich Elisabeth auf ihren Platz setzte. Im Saal war immer noch ein leichter Geruch nach Erbrochenem. Der würde auch beim Hauptgericht und beim Dessert nicht verschwinden. Er versuchte, zurück in seine Rede zu finden, aber das war fast unmöglich. Die Konzentration war dahin. Was er gesagt hatte, schien plötzlich so fremd und sinnlos. Sich ausschließlich auf Elisabeth zu konzentrieren funktionierte nicht mehr. Es wäre wirklich am besten gewesen, das Fest abzubrechen.
    Aber dazu war es zu spät. Er fand einen einfachen Abschluß für seine Rede und hob das Glas, um auf seine Frau anzustoßen.
    Alle machten mit, die Stimmung war wohlwollend, übertrieben verständnisvoll. Von jetzt an würden die Gäste alles tun, um eine freundliche Atmosphäre zu schaffen. Evelyn Moldskæd sprang auf und zitierte Ovid. Danach erteilte sie das Wort einer ehemaligen Kollegin von Telenor, die sich etwas darauf einbildete, daß sie auf Firmenkosten mit der Concorde geflogen war. Was für ein Unsinn, dachte Thomas Brenner, während sein Herz in alle Richtungen schlug, ein einsamer Boxer irgendwo im Brustkasten auf Kollisionskurs mit der Welt. Die Kollegin war nicht einmal witzig. Ohne es zu merken, verunglimpfte sie die Frauen im Kaukasus, die Elisabeth besonders schätzte. Elisabeth konnte mit dieser Frau unmöglich befreundet gewesen sein. Er hatte sie nie über Kollegen reden hören. Sie gehörte zu den Unvermeidlichen, auf die man im Leben trifft und die man nicht los wird. Thomas sah, daß Elisabeth pflichtschuldigst an all den Stellen lachte, die witzig sein sollten. Noch hatte das Fest kaum begonnen. Elisabeth drückte ihm die Hand, wollte sich wohl entschuldigen, weil sie ihn so angefahren hatte. Er lächelte dankbar, ein verschwörerisches Lächeln. Sie vertraute ihm. Nur er wußte, daß er ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte.
     
    Denn es war ein Schlaganfall, wenn auch ein leichter, und Andreas hatte sie ins Ullevål-Krankenhaus gebracht. Dort wußten sie, was zu tun war. Als Elisabeth und Thomas siekurz nach Mitternacht besuchten – die Gäste waren zum Glück rücksichtsvoll gewesen und früh aufgebrochen   –, sah man bei der schlafenden alten Frau deutlich das schiefe Gesicht.
    »Das gibt sich wieder«, sagte Thomas. Janne war die ganze Zeit bei ihr gewesen. Andreas war zurück ins Dahl-Haus gefahren und hatte sich um Kaare gekümmert. Thomas war eigentlich davon ausgegangen, daß Elisabeth im Krankenhaus bleiben wollte, aber Janne hatte sie überreden können, nach Hause zu fahren.
    Eine Stunde später, nachdem sich Kaare beruhigt hatte und ins Bett gebracht worden war, saßen alle sieben im Erker und redeten. Die Mädchen waren auch aufgeblieben. Janne öffnete zwei der Champagnerflaschen, die Elisabeth bekommen hatte und die Thomas in weiser Voraussicht vom Geschenketisch mitgebracht hatte. Die anderen Geschenke würde er am nächsten Tag holen. Er merkte, wie Elisabeth endlich zur Ruhe kam. Vielleicht empfand sie trotz allem

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