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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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Freude darüber, daß sich das Fest hatte durchführen lassen.
    Einige der Reden waren auch witzig gewesen, aber weder Annika noch Line hatten das Wort ergriffen. Sie schoben es auf den Zwischenfall mit Tulla, der sie erschreckt hatte. Wie auch immer. Elisabeth hatte ohnehin nichts von ihnen erwartet. Jetzt war es an der Zeit, auszuschnaufen, Champagner zu trinken und die Aufregungen des Abends zu verdauen. Sie saßen auf der Couch, und Elisabeth küßte Thomas leicht auf die Wange, dankte ihm für das Fest. »Verlaß mich nie«, hatte sie einst in ihrer Jugend gesagt, während die Beatles Here Comes the Sun gesungen hatten und die Sonne über Vettakollen aufgegangen war.
    Das Fest und die Chicagoreise waren sein Geschenk an sie. Er war sich fast sicher gewesen, daß sie vorschlagen würde, die Reise abzusagen, aber offenbar hatte Janne mit ihr gesprochen. Sie erklärte jedenfalls, daß sie sich in der Woche von Elisabeths Abwesenheit voll und ganz um Tulla kümmern werde.
    Thomas atmete erleichtert auf. Janne gelang es sogar, Andreas zu überreden, noch ein paar Tage zu bleiben, um Kaare zu versorgen. Das waren mittelfristige Lösungen, mittelfristige Fürsorge, dachte Thomas Brenner. Für die endgültige Lösung würde Elisabeth verantwortlich sein.
    Und vielleicht waren genau das Elisabeths Gedanken, als sie sich hatte überreden lassen, trotzdem nach Chicago zu fliegen. Diese Reise würde für lange Zeit die letzte sein. Eine Mutter mit Schlaganfall beanspruchte noch mehr Zeit und pflegende Fürsorge. Was für ein Wort, dachte er. Es wurde inzwischen offiziell verwendet. Fürsorge als Job. Bald würde man wohl ein Ministerium für pflegende Fürsorge einrichten und einen Minister für pflegende Fürsorge ernennen. Von der Autorin der Protuberanzen , der Leiterin einer der wichtigsten Abteilungen bei Telenor war Elisabeth nun zur pflegenden Fürsorgeperson geworden. Sie hatte das selbst gewollt und mit Klauen und Zähnen darum gekämpft, Tulla zu Hause bei ihrem Kaare zu behalten. Aber würde sie das schaffen? Der Spielraum war für Tulla Dahl jetzt sehr reduziert. Während sich allmählich die Gemüter im Erker beruhigten, merkte Thomas Brenner, daß sich seine alten, normalen Gefühle für die Schwiegermutter wieder einstellten. Er war nicht mehr wütend auf sie. Er stellte sich vor, wie schrecklich es für sie sein würde, am nächsten Morgen zu erwachen, körperlich behindert und mit schiefem Gesicht. Tiere töteten sich gegenseitig oder fanden einen stillen Platz, um zu sterben, wenn ihre Zeit gekommen war. Das Los des Menschen war es, zu erkennen, daß es für den Menschen diesen Zeitpunktnicht gab, daß alles, was er erreicht hatte, ihm schließlich genommen wurde und er wie ein gerupfter Vogel hilflos in irgendeinem Pflegeheim hockte und sein Leben wie eine Seifenblase in der Hand hielt. Vielleicht würde Tulla in das gleiche Heim kommen wie Bergljot.
    Das war nicht wichtig, dachte Thomas, die beiden hatten sich nie verstanden. Er saß neben Elisabeth und betrachtete seine Töchter. Wie nervös sie wirkten, jede auf ihre Weise, wie verstimmt sie sicher darüber waren, daß das Fest, auf das sie sich so sehr gefreut hatten, ganz anders abgelaufen war. Er war überzeugt, daß jede von ihnen eine Rede vorbereitet hatte, aber sie waren so leicht aus der Fassung zu bringen.
    Er betrachtete Annika in ihrer riesigen Tunika, dick und ungesund, und die dünne, blasse Line mit der Wunde am Handgelenk, auch sie alles andere als gesund. Er überlegte plötzlich besorgt, ob Annika wohl in den Sitz im Flieger passen würde.
     
    Thomas hatte nicht mit Jannes Fähigkeit, die Kontrolle zu übernehmen, gerechnet. Vor allem, weil sie ihr eigenes Leben noch nie unter Kontrolle gehabt hatte.
    Aber es gab Menschen, die waren dazu geschaffen, Krisensituationen zu meistern, dachte er. Janne gehörte offenbar dazu. Er empfand sie als Verbündete. Obwohl ihn sein Leben lang Gewissensbisse quälen würden, weil er Tullas Schlaganfall erkannt hatte, ohne als Arzt etwas zu unternehmen, ein Versagen, das aus moralischer Sicht das Todesurteil verlangte oder wenigstens die Aberkennung seiner Approbation, hatte er das Gefühl, daß Janne ähnlich gedacht hatte, daß sie wenn nötig jederzeit die Rollen tauschen konnten.
    Andererseits war dieser Zirkus um Elisabeth, nur wegen eines sechzigsten Geburtstags, vielleicht doch etwas übertrieben? Und dazu noch die Chicagoreise. Sprengte das nicht jeden Rahmen? Steckte dahinter nicht vor allem

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