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Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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und diesem vorher Conrads Hose und Sweatshirt angezogen.
    In diesem Moment, da sein Gegenüber keinen Mucks von sich gab und mit einem Angst einflößenden Blick über ihn hinwegschaute, dachte Leon, er habe mit seiner Vermutung vielleicht doch recht und der Junge war gerade erst gekidnappt worden.
    »Ich …« Leon musste einen zweiten Anlauf nehmen. Er keuchte mit offenem Mund, weil er die Luft zu lange angehalten hatte. »Bist du … Conrad?«
    Die Antwort kam so schnell aus dem Mund des maskenartigen Gesichts, dass Leon erschrak. »Ja.«
    »Aber … aber …«
    »Sie haben mich geschoren.«
    »Ja, aber … aber wieso …«
    »Sie wollten es so.« Es sah aus, als würde Conrads Mund von alleine sprechen. Der Rest seines Gesichts und Körpers blieb starr.
    »Tut das weh?« Leon rieb, ohne es zu merken, die Knöchel seiner Fäuste aneinander.
    »Geht schon.«
    »Wo warst du denn so lang?«
    »Oben.«
    »Aber so lang.«
    »Sie wollten es so.«
    »Hast … hast du Hunger, Conrad?«
    »Nur Durst.«
    »Ich hol dir einen Saft.« Leon blieb sitzen und blickte weiter zu Conrad hinauf, der nicht aussah wie Conrad. Dann fiel ihm ein, was er versprochen hatte, und er sprang auf.
    Conrad schaute ihn an. Seine Augen wie schwarze Monde, die ewig weit weg waren. »Danke.«
    »Wart, ich bring dir das Glas.« Leon ging zur Anrichte und schraubte die Flasche auf. Hinter ihm ertönte eine Stimme, die ihn schon wieder erschreckte. Er drehte sich um.
    »Du«, sagte Conrad. »Ich hab deinen Namen vergessen.«
    Eine Sekunde lang glaubte Leon, der andere wolle ihn verarschen. Dann sah er diesen Blick und diesen bleichen unwirklichen Schädel und sagte: »Macht nichts, du bist ja noch nicht so lang da. Ich bin der Leon.«
    »Entschuldige, Leon.«
    Leon hatte genau hingesehen: Der Mund hatte sich nicht bewegt.
    »Da sind auch noch Kekse.« Verwirrt wandte Leon sich um und goss Orangensaft in ein Glas. Er fürchtete sich ein wenig davor, Conrad schon wieder ins Gesicht sehen zu müssen.
    »Nur was trinken, bitte.«
    Leons Hand zitterte, als er ihm das Glas reichte. Conrad umklammerte es mit beiden Händen, trank einen Schluck und schnaufte. Zum ersten Mal, seit Leon ihn beobachtete, schloss Conrad für eine Weile die Augen. Dann öffnete er sie wieder und leerte das Glas in einem Zug. Er stöhnte leise, gab ein paar schmatzende Geräusche von sich, hielt das Glas mit beiden Händen vor dem Bauch. »Danke, Leon. Du bist ein Freund.«
    »Du bist auch ein Freund«, sagte Leon unbeholfen. Er nahm Conrad das Glas aus der Hand und wusste nicht, wohin damit. Aus einem unbestimmten Grund wollte er seinen Freund jetzt nicht allein stehen lassen. Dabei war die Anrichte nur drei Schritte entfernt. Auf keinen Fall abhauen, dachte Leon, bestimmt will er gleich was erzählen.
    Doch Conrad schwieg.
    Zwei, drei Minuten lang. Leon stand dabei, und es machte ihm nichts aus. Auch als Conrad sich auf seine Matratze fallen ließ, verharrte Leon, obwohl er fürchtete, sein Freund habe sich wehgetan. Conrad klappte zusammen wie eine Puppe. Er zog die Beine an den Körper, krümmte den Rücken, legte die Hände vors Gesicht und blieb so für mehrere Stunden.
    In dieser Zeit putzte Leon das Bad, obwohl es nicht besonders schmutzig war, und lief hin und her, von einer Wand zur anderen.
    Irgendwann setzte er sich an den Tisch und weinte in sich hinein. Dauernd sah er Conrads Bild vor sich, das bleiche Gesicht, die riesigen Augen, den kahlen runden Kopf, der aussah, als wäre er aus schmutzigem Plastik. Ab und zu warf er einen Blick zur Matratze, auf der Conrad regungslos lag und wahrscheinlich schlief.
    Das stellte Leon sich schön vor: Wie sein Freund in einem großen Auto durch eine leuchtend helle Landschaft fährt, mit offenem Verdeck, seine Haare wehen im warmen Wind und seine Augen leuchten vor Vergnügen. Wie zur Bestätigung nickte Leon ein paar Mal, warf wieder einen Blick zur Matratze und klemmte die Hände unter die Oberschenkel.
    Auf diese Weise verbrachte Leon ungefähr eine Stunde, ohne zu merken, wie die Zeit verging.
    Er versuchte, sich an die Sätze zu erinnern, die Sophia ihm aus der Bibel vorgelesen hatte. Sie fielen ihm nicht mehr ein. Er wusste nur noch, dass Gott die Welt erschaffen hatte, aber nicht mehr, wieso. Hatte Sophia das überhaupt erzählt? Und wo blieb sie so lange? Und Maren. Und Eike.
    Angestrengt dachte Leon darüber nach, wie lange Eike schon fort war. Mindestens zwei Wochen.
    »Voll hart«, sagte er, und Conrad ruckte mit dem

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