Die Untoten von Veridon: Roman (German Edition)
entschärfte die Äußerung durch sein merkwürdiges Lächeln. »Komm jetzt. Da ist etwas, das du sehen solltest.«
»Ist es so etwas wie diese Maske? Davon habe ich heute nämlich schon reichlich gesehen.«
Er klopfte auf seine Weste, und ich hörte das dumpfe Pochen der Maske. »Nein. Ich bin nicht sicher, ob es überhaupt etwas gibt, das diesem Ding nahekommt. Mir war langweilig, während ich auf der Flucht vor den Ordnungshütern war. Oder dachte, dass ich auf der Flucht vor ihnen sei. Hab mich etwas umgesehen.«
»Was hast du gefunden?«, wollte ich wissen.
»Oh. Das ist wirklich etwas, das du mit eigenen Augen sehen solltest. Wir müssen dafür ein wenig klettern.«
»Ich habe mich in Kneipen versteckt und in Form gesoffen, um mich auf genau so einen Fall vorzubereiten«, sagte ich. »Klettern wir ruhig auf etwas Hohes, um uns etwas Geheimnisvolles anzusehen, anstatt dass du mir einfach erzählst, was es ist. Klingt toll.«
»Ernsthaft, Jacob.« Er bedachte mich mit einem leicht nervösen Blick. »Das solltest du wirklich sehen.«
Wie die meisten Gründeranwesen lag das Herrenhaus der Tombs mitten in einem Viertel, das einst opulent gewesen und seither der Verwahrlosung anheimgefallen war. Jene Gründer, die sich einen Umzug leisten konnten, hatten sich in besseren Stadtteilen niedergelassen. Die Burns blieben, weil kein Geld für einen Umzug da war. Die Tombs blieben, weil sich der Patriarch im Keller befand und nie wieder umziehen würde.
Das Gebäude selbst war von einer niedrigen Mauer umgeben, die genügte, um neugierige Augen und faule Diebe fernzuhalten. Natürlich wäre ohnehin niemand in das Anwesen der Tombs eingebrochen, weil die Diebe in Veridon abergläubisch waren. Und kaum etwas schürt Aberglauben so sehr wie ein ewig lebender Gründer mit einer Nachkommenschaft untoter Ratsvertreter. Zudem besaß die Familie genug Geld, um sich eine kleine Armee auf dem Gelände zu leisten. Diese Armee präsentierte sich in guter Verfassung, hielt Wache, patrouillierte und wirkte allgemein sehr kampfbereit. Damals, als es Ärger gab, diente das Anwesen der Tombs als eine Art Schlachtfeld, und die Wachleute waren ihrer Aufgabe nicht gewachsen gewesen. Das schien mittlerweile anders zu sein.
Wir beobachteten all das von einem Kirchturm aus, einer der zahlreichen leer stehenden Einrichtungen der einen oder anderen toten Religion, die man über die Stadt verstreut vorfand. Menschen kamen, brachten ihre Götter mit, errichteten ihnen Tempel und verfielen dann der Macht des Algorithmus. Es war schwierig, gegen einen Gott anzuargumentieren, der so viel Geld und eine solche Menge von Wundern hervorbrachte.
Wilson kauerte gemütlich auf der Seite des Glockenturms. Sein Fuß baumelte in der luftigen Höhe von zwölf Metern. Ich umklammerte das Geländer, als wollte ich es erwürgen. Tatsächlich wollte ich das. Am liebsten hätte ich diese ganze Expedition erwürgt und mich zurück auf herrlich festen Boden begeben.
»Gibt es einen Grund, warum wir die Familie bespitzeln, die gerade so nett war, mich aus dem Knast zu holen, Wilson? Denn wir könnten wahrscheinlich auch einfach an die Tür klopfen«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich wurde der Tochter hochoffiziell vorgestellt.«
»Weißt du, früher warst du richtig mutig.« Wilson bedachte mich mit einem belustigten Blick, dann schüttelte er den Kopf. »Da warst du noch voll und ganz für verrückte Pläne zu haben.«
»Mut hat mich nicht weiter gebracht«, gab ich zurück. Dass Mut zu Emilys Tod geführt hatte, fügte ich nicht hinzu. »Zeig mir einfach, was du mir zeigen musst, und lass uns dann von hier verschwinden.«
»Könnte eine Weile dauern. Ich bin hier vorbeigekommen, weil ich dachte, so könnte ich die Ordnungshüter abschütteln und sie vielleicht glauben lassen, ich würde mich bei der Familie Tomb verstecken. Macht mir Spaß, dieser Frau Ärger zu bereiten. Aber dann sah ich etwas oben im Turm. Das Fenster stand zufällig offen.«
Ich spähte in die Richtung, in die er deutete. Einer der alten Solartürme des Anwesens präsentierte sich trotz der Nachmittagssonne hell erleuchtet. Alle Vorhänge waren zugezogen und dämpften die Lichter im Inneren. Der Balkon strotzte vor Vogelkäfigen mit schwarzen, krächzenden Insassen. Krähen.
»Schaue ich mir gerade Krähen an? Ich hab schon mal Krähen gesehen, Wilson.«
»Du musst warten, bis sich die Fenster öffnen. Wie schon gesagt, könnte eine Weile
Weitere Kostenlose Bücher