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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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klopfte in ihrer Brust wie eine Faust, die sich einen Weg ins Freie erkämpfen wollte. Welch eine Gefahr! Eine schreckliche Aufregung, eine Flut, die über sie hereinstürzte.
    Instinktiv bedeckte sie Mund und Nase in dem kleinen Gesicht des Babys mit ihrem Mund. Sie blies sachte. Und noch einmal. Und noch einmal.
    Und das Baby erwachte wieder zum Leben. (»Ich bin sicher, dass es reiner Zufall war«, sagte Dr. Fellowes, als man ihn von diesem medizinischen Wunder erzählte. »Ich glaube nicht, dass man mit dieser Methode jemanden wiederbeleben kann.«)

    Bridget kehrte von oben, wohin sie Fleischbrühe getragen hatte, in die Küche zurück und erstattete Mrs. Glover getreulich Bericht. »Mrs. Todd hat gesagt, ich soll der Köchin – das sind Sie, Mrs. Glover – ausrichten, dass Sie die Katze loswerden sollen. Dass es besser wäre, wenn Sie sie umbringen lassen.«
    »Umbringen?«, sagte Mrs. Glover entrüstet. Die Katze, die wieder auf ihrem Stammplatz neben dem Herd lag, hob den Kopf und starrte Bridget unheilvoll an.
    »Ich wiederhole nur, was sie gesagt hat.«
    »Nur über meine Leiche«, sagte Mrs. Glover.

    Mrs. Haddock nippte an einem Glas mit heißem Rum auf eine, wie sie hoffte, damenhafte Weise. Es war ihr drittes Glas, und sie begann innerlich zu glühen. Sie war unterwegs zu einer Geburt gewesen, als der Schnee sie gezwungen hatte, kurz vor Chalfont St. Peter im Nebenraum des Blue Lion Zuflucht zu suchen. Es war kein Ort, den sie unter normalen Umständen aufgesucht hätte, doch im Kamin prasselte ein Feuer, und die Gesellschaft erwies sich als ausgesprochen fröhlich. Zaumzeugbeschläge und Kupferkrüge funkelten und glänzten. Vom Nebenraum aus sah sie jenseits der Theke die öffentliche Kneipe, wo der Alkohol besonders freizügig zu fließen schien. Dort ging es rüpelhafter zu. Im Augenblick wurde ein Lied angestimmt, und Mrs. Haddock staunte, als sie feststellte, dass sie mit dem Fuß den Rhythmus mittippte.
    »Sie sollten den Schnee draußen sehen«, sagte der Wirt und neigte sich über die breite polierte Messingtheke. »Wir könnten hier tagelang feststecken.«
    »Tagelang?«
    »Sie trinken besser noch ein Gläschen Rum. Sie werden heute Nacht nicht mehr von hier wegkommen.«

Wie ein Fuchs in seinem Bau
    September 1923
    D u gehst jetzt also nicht mehr zu Dr. Kellet?«, fragte Izzie und ließ ihr emailliertes Zigarettenetui aufspringen, in dem eine ordentliche Reihe Zigaretten der Marke Black Russian lag. »Glimmstengel?«, sagte sie und hielt ihr das Etui hin. Izzie sprach mit allen, als wären sie genauso alt wie sie. Das war sowohl verlockend als auch bequem.
    »Ich bin dreizehn«, sagte Ursula. Was ihrer Meinung nach beide Fragen beantwortete.
    »Dreizehn ist heutzutage ziemlich erwachsen. Und das Leben kann sehr kurz sein«, fügte Izzie hinzu und nahm ihre lange Zigarettenspitze aus Ebenholz und Elfenbein. Sie blickte sich im Restaurant nach einem Kellner mit einem Feuerzeug um. »Mir fehlen deine kleinen Besuche in London. Zuerst in die Harley Street und dann ins Savoy zum Tee. Ein Vergnügen für uns beide.«
    »Ich gehe seit über einem Jahr nicht mehr zu Dr. Kellet«, sagte Ursula. »Mein Zustand hat sich stark gebessert.«
    »Sehr gut. Ich dagegen gelte in la famille als unverbesserlich. Aber du bist selbstverständlich die jeune fille bien élevée und wirst nie erfahren, was es heißt, der Sündenbock für die Sünden aller anderen zu sein.«
    »Ach, ich weiß nicht. Ich glaube, ich kann es mir vorstellen.«
    Es war Samstagmittag, und sie saßen in Simpson’s. »Müßige Mamsellen«, sagte Izzie und blickte auf große Scheiben blutiges Rindfleisch, die vor ihren Augen vom Knochen gesäbelt worden waren. Millies Mutter, Mrs. Shawcross, war Vegetarierin, und Ursula dachte an ihren Abscheu vor so einem großen Trumm Fleisch. Hugh nannte Mrs. Shawcross (Roberta) »unkonventionell«, Mrs. Glover nannte sie verrückt.
    Izzie neigte sich zu dem jungen Kellner, der herbeigeeilt war, um ihre Zigarette anzuzünden. »Danke, Darling«, murmelte sie und schaute ihm direkt in die Augen, so dass er so rosa wurde wie das Roastbeef auf ihrem Teller. »Le rosbif«, sagte sie zu Ursula und entließ den Kellner mit einem gleichgültigen Wedeln der Hand. Sie würzte ihre Sätze immer mit französischen Worten. (»Ich war eine Zeitlang in Paris, als ich jünger war. Und dann natürlich im Krieg …«) »Sprichst du Französisch?«
    »Wir lernen es in der Schule«, sagte Ursula. »Aber

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