Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
er es mit mir zu tun! Wir werden ja sehen, ob er endlich ein bißchen Sport treiben will und nicht immer an Bambú klebt!«
»Nein, Mody, nein! Es geht um die ausländische Dame, es ist etwas mit ihr, und ich, ich … hätte ich doch bloß niemals etwas Schlechtes über sie gedacht!«
»Was ist passiert?«
»Ich weiß es nicht! Sie hat mich zu sich gerufen und schien ganz ruhig. Und weil im Zimmer die gepackten Koffer standen, dachte ich: ›Wahrscheinlich soll ich ihr helfen, sie wird wohl abreisen wollen.‹ Sollte sie nicht abreisen, Mody? Aber dann sagt sie mir, daß sie schlafen möchte und bis zum Morgen keine Störung wünscht. Doch als sie unter die Decke schlüpft, sehe ich, daß sie weint. Zurück in der Küche, geht mir dieses Weinen einfach nicht aus dem Kopf. So bin ich also noch einmal hin und habe geklopft, ob sie vielleicht etwas Heißes wolle.«
»Red schon, Stella, was ist passiert?«
»Sie hat mir nicht geantwortet. Ich klopfe und klopfe, hundertmal, nichts. Ich habe Angst, Mody! Vielleicht geht es der Dame schlecht.«
»O Gott, Fürstin, das Wasser ist ja ganz rot, das ist Blut!«
Nunzio schreit wie ein Besessener. So habe ich ihn noch nie erlebt. Er hat zwei Türen eingetreten: Zimmer und Bad. Während ich Joyces Kopf halte, trägt Nunzio,der sie aus dem Wasser gezogen hat, sie vorsichtig zum Bett und murmelt:
»Nun schau mal einer an, so eine bildschöne Frau und will nicht mehr leben! Wenn die Fürstin es erlaubt, zerreiße ich dieses Laken und mache einen Verband daraus. Er muß fest sitzen … so! Der Farbe des Wassers nach hat sie nicht viel Blut verloren … Mein Gott, sie hat kräftig mit der Klinge gefuhrwerkt … Wie einmal an der Front, ein Mailänder, der sich eines Nachts, wer weiß, warum, den gleichen Dienst erwiesen hat, nur ohne Bad natürlich. Er lag auf der Pritsche über mir, und sein Blut hat mich geweckt, weil es mir ins Gesicht tropfte. Das wünsche ich wirklich niemandem! Im Schützengraben habe ich so manches erlebt, aber dieses Erwachen ist mir stärker ins Gedächtnis gebrannt als der Lärm der Granaten.«
Dann war ich also nicht die einzige, die Joyce schön fand durch den Filter der Liebe, der sich vom ersten Augenblick an über meinen Blick gelegt hatte, wenn auch Nunzio wiederholte: »Schön, bildschön …«, während er Stella half, ihr das vom blutigen Wasser triefende Nachthemd auszuziehen.
»So, und jetzt unter die Decke! Oder besser, zuerst noch die Haare trocknen …«
Stella rubbelte ihr Haar, das, da es leicht gewellt war, im nassen Zustand noch länger wirkte.
Sie öffnete die Augen, kaum daß Doktor Licata den Raum verlassen hatte.
An ihrem klaren Blick, der über Wände, Vorhänge und die geschlossenen Koffer in der Mitte des Raumes glitt, um schließlich bei Stella innezuhalten, erkannte ich, daß von Abreise keine Rede mehr sein würde, leider auchnicht von Küssen, unter uns gesagt. Aber was bedeutete das schon für die kleine Modesta in mir, die jubelnd beobachtete, wie sie lebendig und entspannt Stellas Lächeln erwiderte? Bei diesem Lächeln fühlte ich, wie ich in dem großen Sessel, wo ich Stunde um Stunde gewartet hatte, noch kleiner wurde. War es, weil sie ausgestreckt und nackt unter dem Laken größer und voller aussah, als sie gewirkt hatte, wenn sie in ihren Hosen neben mir hergegangen war, in denen sie unverdächtig dünn wirkte? Die vollen Brüste und die runden Hüften formten die Statur einer erwachsenen Frau. Das war es: Angezogen sah sie aus wie eine leichte Diana, liegend wie eine Venus. Diese Göttin hatte zwei Antlitze, zwei Wesensarten, zwei Denkarten, wie jeder Mensch. Meine Narbe unter dem Pony pulsierte und erinnerte mich daran, daß es sogar drei Antlitze sein konnten, wie es auch dreigesichtige Vasen gab …
»Oh, Modesta, auch Ihr seid hier? Was ist denn passiert?«
»Nichts, gnädige Frau, Euch ist bloß beim Baden unwohl geworden.«
Niemals hätte ich Stella soviel Takt zugetraut, und ich sah sie dankbar an. Auch sie hoffte, daß Joyce sich an nichts erinnern würde. Doch wie der Arzt vorausgesehen hatte, war dem nicht so, und schon schielte Stella nach der Spritze, die griffbereit auf dem Nachttisch lag: »Sollte sie nach dem Aufwachen eine Krise bekommen, gebt ihr dieses Beruhigungsmittel und schickt nach mir.«
»O Gott, Fürstin, Stella, meine Handgelenke …«
»Laßt es gut sein, gnädige Frau, behaltet Eure Hände einfach unter der Decke, es ist nichts!«
Doch sie hatte die Arme schon unter den
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