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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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verabschieden. In primis, damit sich dir die Trennung tiefer in die Seele eingräbt und dann, um den anderen Mädchen ein Beispiel zu geben, damit sie wissen, was man durch Stolz und Anmaßung verliert. Hast du dazu nichts zu sagen?«
    »Wird Madre Leonora auch dabeisein? Darf ich …«
    »Nein.«
    Und sie verschwand hinter der Tür, die zuschlug, und begrub damit die einzige schwache Hoffnung, die sich mir in dieser Wortlawine gezeigt hatte. Wenn ich sie wenigstens hätte sehen dürfen. Sie konnte gar nicht so sehr gegen mich sein, wenn sie mich in ihrem Testament bedacht hatte. Sie sehen! Ich mußte sterben, um sie wiederzusehen, es gab keinen anderen Ausweg. Oder hatte ich nur geträumt? Nein, der Koffer auf dem Bett war echt und füllte sich langsam mit kleinen schwarzen Tierchen: Wanzen. Die kannte ich. Schon bald würden sie in die weißen Mauern einfallen und mich verjagen. Ohne zu wissen, wie, fand ich mich an die Gitterstäbe des Fensters geklammert wieder. Zum Glück stand die Sonne noch hoch.
    Solange sie schien, mußte auch Mimmo noch da sein, Mimmo, der vor Sorge unbeweglich an seinem Posten Wache hielt. Und wirklich, dort zwischen den Bäumen stand er. Er mußte mich bemerkt haben, denn mit einem kleinen Satz hatte er sich hinter einem dickeren Stamm versteckt. Ich rannte, um mir Mut zu machen und nicht an den aufgerissenen Rachen des Brunnens zu denken. Die Stimme von Schwester Costanza trieb mich an: »Dort, wo du hingehst, gibt es keine Bücher … Dort, wo du hingehst, brauchst du keine … Du wirst einen Beruferlernen … die Demut …« Meine verschwitzten Hände rutschten an dem glatten Stein ab. Zweimal fiel ich hin und kam wieder hoch, aber schließlich stand ich auf dem Brunnenrand. Hoffentlich sah Mimmo mich auch … Und vielleicht, weil ich so schnell gelaufen war, oder wegen Schwester Costanzas Stimme, die in meinem Kopf dröhnte und mich aus dem Gleichgewicht brachte, oder weil der Brunnenrand glatt und schlüpfrig war, rutschte ich hinein, ohne den Mut zu brauchen, den ich so erfleht hatte.

14
    Ich würde euch gern erzählen, was ich empfunden habe, als ich in dieses bodenlose Dunkel stürzte, aber das kann ich nicht, denn zum ersten und letzten Mal in meinem Leben wurde ich richtig ohnmächtig, nicht gespielt wie sonst immer. Und deshalb werden weder ihr noch ich es je erfahren. Ich weiß nur, daß Mimmo mich gerettet hat und daß er sich, während ich mit einigen Schürfwunden und ein paar kleinen Kratzern im Gesicht und an den Beinen davonkam, den Arm gebrochen hat. Er tat mir ein wenig leid, aber er sagte allen, die ihn bemitleideten: »Was ist das schon! Nichts Schlimmes. Ein Arm wächst wieder zusammen, aber für eine Seele, die sich vom Körper löst, gibt es keinen Leim!« Und wenn er es so leicht nahm, dann brauchte auch ich mich nicht zu sorgen. Ich persönlich war, als ich nun mit geschlossenen Augen – damit man mir meine Freude nicht ansah – zwischen den blütenweißen Laken meines wiedereroberten Bettes lag, glücklicher als im Paradies, wie sie immer sagen. Ich hörte Madre Leonoras Stimme, die aber anders klang als früher. Sie war ein wenig farblos geworden, wie abgenutzt. Aberes war immer noch ihre Stimme, endlich. Sie sagte, alle im Kloster seien bewegt – das wurde auch Zeit –, und auch wenn der Versuch, sich das Leben zu nehmen, eine Todsünde sei, könne man dennoch nicht abstreiten, daß er auch ein Zeichen war: daß ich hier bei ihnen in diesen Mauern bleiben sollte. Gemeinsam würden wir nun beten, um unsere Seelen auch von dieser Sünde zu läutern (was für ein häßliches Wort, dachte ich). Wenn sie mich hier behalten und wieder studieren lassen würde, wollte ich liebend gerne beten. Tag und Nacht würde ich beten und meine Naivität und meinen Leichtsinn aufrichtig bereuen. Inzwischen war ich erwachsen geworden. Und wenn ich schon vorher beinahe auf jedes Wort und jede Geste geachtet hatte, bestand ich nun nur noch aus Vorsicht: ein Bündel aus Nerven und Adern, fest zusammengehalten von der Furcht vor einer Torheit. Und auch jetzt, obwohl sie mich drängte, die Augen zu öffnen, wagte ich nicht, sie anzuschauen. Dieses Gesicht hatte in mir zu viele Gefühle geweckt, und die Furcht, es nach so langer Zeit wiederzusehen und daß irgend etwas in ihren Zügen eine vorschnelle Reaktion in mir hervorrufen könnte, riet mir, zumindest bis zum nächsten Besuch zu warten.
    »Bis morgen, Modesta. Die Stunde ist vorbei. Ruhe dich aus und bete. Bete, so wie du es

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