Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
Vom Netzwerk:
Bekommt man denn auch Hunger, wenn man leidet?«
    Als wir Stellas Braten verzehren, scheint der Schmerz verflogen.
    »Wie gut das schmeckt, Mama! Ich würde ihn nie so gut hinbekommen.«
    »Ich auch nicht.«
    Doch kaum ist der Hunger gestillt, beginnt das Leiderneut durch seinen Blick zu jagen, der ausweicht und an den Küchenwänden abprallt. In der Stille hört man den Schmerz wie gedämpften Hörnerklang, oder ist es der erstickte Herzschlag, der gegen seinen Brustkorb hämmert, als wolle er ihn durchstoßen? Er muß sich selbst gebären oder an jenem Fremdkörper zugrunde gehen, der sich in ihm eingenistet hat. Mit sich ringend, deckt er den Tisch ab, sucht Halt an Gegenständen, an vertrauten Bewegungen.
    »Mir macht es Spaß, etwas zu kochen. Vorgestern, als du nicht da warst, Stella zu tun hatte, Bambú und Mela am Lernen waren, war ich froh, daß ich für Crispina, die auch Hunger hatte, ein Rührei machen konnte.«
    Sein Blick liegt wie hypnotisiert auf dem großen, leeren Tisch. Jacopo muß mit den Fäusten auf die Holzplatte schlagen, bevor er wieder auf seinen Stuhl sinkt, den Kopf auf die Hände gestützt, den Blick feindselig auf mich gerichtet. Einen kurzen Moment hat sich Inès’ Maske über mein Gesicht gelegt, und er findet nicht den Weg zu mir. Vielleicht wird diese Maske die Macht haben, sich vor jedes Frauengesicht seiner Zukunft zu schieben und ihn sein Leben lang in der Zelle des Mißtrauens gefangenzuhalten. Er hat Crispina genannt, vielleicht kann ihr kleines Gesichtchen zwischen den Gitterstäben hindurchschlüpfen, die Inès um ihn errichtet hat.
    »Crispina hat heute geweint.«
    »Ich weiß, ich weiß, das tut mir so leid, aber ich konnte sie einfach nicht sehen.«
    »Sie lassen uns ungerechterweise leiden, und anstatt dieser Ungerechtigkeit ein Ende zu setzen, übertragen wir sie auf die Kleinsten und Wehrlosesten.«
    »Du hast recht, und ich weiß es! Auch für sie wollte ich stark sein, aber diese, diese … oh, Mama, diese Frauist so gemein! Und jetzt, wo ich weiß, daß sie meine Mutter ist, ist es, als hätte ich entdeckt, daß jedermann gemein ist!«
    »Warum gemein, Jacopo?«
    »Darum! Nicht nur weil sie mir erzählt hat, was sie nicht hätte erzählen dürfen, sondern auch weil sie euch schlecht gemacht hat, dich, Bambú, uns. Sie hat gesagt, du seist verrückt. Daß du alles Geld verschwendet habest, um ganz nach deinen Vorstellungen leben zu können …«
    »Sie ist nicht die einzige, die uns kritisiert, Jacopo.«
    »Ich weiß … Warum tut es mir dann so weh, Mama?«
    »Weil du Angst hast, selbst schlecht zu sein, seitdem du weißt, daß du ihr Sohn bist. Sie ist nicht schlecht, sondern nur ungebildet. Großherzigkeit, Güte, das ist der Luxus. Die Armen, ich war selbst arm und weiß, wovon ich rede, die Armen haben keine Zeit, gut zu sein. Wie kann man gut sein, wenn man gezwungen ist, um jedes Stückchen Brot zu kämpfen?«
    »Aber Stella ist gut.«
    »Sie ist eine Ausnahme, Jacopo! Oder vielleicht gar nicht mal so sehr. Stella ist die Tochter wohlhabender Bauern. Sie ist aus freien Stücken hier und bleibt, solange sie will, niemand zwingt sie dazu, das ist der Unterschied! Inès hingegen ist in einem Waisenhaus aufgewachsen, sie weiß nicht, wer ihre Eltern sind.«
    »Das wußte ich nicht, Mama.«
    »Ich will dir damit sagen, Jacopo, daß jeder von uns das Ergebnis einer ganz bestimmten Vergangenheit und Erziehung ist, und Inès hat ganz gewiß die schlechteste aller Erziehungen genossen.«
    »Dann meinst du, daß sie gar nicht schlecht ist?«
    »Sie weiß es nun mal nicht besser, das ist alles … undvielleicht ist sie schwächer als, was weiß ich, als Stella oder ich. Würde es dich zum Beispiel wundern, wenn ich dir sagte, daß Bambolina mit einer anderen Erziehung viele Seiten von Egoismus und Eigensinn hätte?«
    »O nein! Ich hatte noch nie darüber nachgedacht, aber es stimmt. Mela ist da stärker, obwohl sie nicht so wirkt.«
    »Siehst du? Und Prando? Laß uns die Wahrheit suchen. Wie gefiele dir ein Prando, den man frei schalten und walten ließe?«
    »Ach du meine Güte!«
    »Auch ich bin weder gut noch schlecht. Ich bin gut, wenn ich es mir erlauben kann, und schlecht, wenn ich mich oder dich verteidigen muß oder Crispina vor dir … Du selbst warst schon schlecht, wenn wir tatsächlich dieses schlimme, ausweglose Wort benutzen wollen, und zwar Crispina gegenüber.«
    »Das ist wahr.«
    »Und? So etwas passiert, aber man kann es wiedergutmachen.«
    »Ich werde

Weitere Kostenlose Bücher